: Abschiebungen an den Nagel gehängt
Heutige Zwangsausreise von sechs Afghanen gescheitert. Innensenator Udo Nagel will dennoch harte Linie durchziehen, aber CDU kritisiert ihn wegen mangelhafter Durchführung. 2.000 Menschen demonstrieren in der City gegen Abschiebungen
Von Sven-Michael Veit
Der harte Kurs des Hamburger CDU-Senats endet vorerst mit einer Bruchlandung. Der von Innensenator Udo Nagel vollmundig für gestern angekündigte bundesweite Start der Abschiebungen nach Afghanistan fand nicht statt. Lediglich ein Mann wurde via Frankfurt nach Kabul ausgeflogen – der inhaftierte Straftäter wäre allerdings auch abgeschoben worden, wenn der seit 30. April beendete Ausreisestopp für Afghanen noch gelten würde.
Fünf weitere Männer, die sich am Morgen in der Ausländerbehörde zwecks Abschiebung einfinden sollten, erschienen nicht. Einer kündigte seine Absicht an, eine Hamburgerin zu heiraten, was ihm eine Aufenthaltserlaubnis sichern würde. Die anderen vier Männer haben in letzter Sekunde Asylanträge gestellt oder eine Petition beim Eingabenausschuss der Bürgerschaft eingereicht. Sie waren bislang lediglich geduldet, können nun aber nicht zur Ausreise gezwungen werden, solange ihre Anträge nicht abgelehnt worden sind.
Ihre Betreuerin Ilse Schwarz vom „Netzwerk Afghanistan Info“ erklärte, die fünf „wollen alle unbedingt in Deutschland bleiben“. Bei den katastrophalen Lebensumständen in ihrer Heimat sähen sie dort keine Perspektive (siehe Text unten). Einige der von Abschiebung bedrohten Menschen hätten von den Hamburger Behörden keinerlei juristische Information erhalten und wüssten nicht, wie man sich gegen eine zwangsweise Rückführung wehren könne, kritisierte Schwarz.
Nagel kündigte gestern unverdrossen an, bei seiner Linie zu bleiben: „Hamburg hält an der zwangsweisen Rückführung fest“, versicherte er. Mit „Widerstand“ im Einzelfall habe er selbstverständlich gerechnet, am nächsten Mittwoch, kündigte Nagel an, würde ein weiterer Abschiebeversuch unternommen.
Derweil gerät der parteilose Senator aus den eigenen Reihen unter Druck. Die CDU-Fraktion forderte angesichts des „schleppenden Beginns“ ihn gestern zu „mehr Konsequenz bei der Abschiebung“ auf. „Ich erwarte“, formulierte Innenpolitiker Christoph Ahlhaus in einer Pressemitteilung ungewöhnlich undiplomatisch, „dass künftige Maßnahmen so vorbereitet werden, dass auch tatsächlich abgeschoben werden kann.“ Es könne nicht angehen, ergänzte sein Fraktionskollege Karl-Heinz Warnholz, „dass sich die Betroffenen in letzter Minute herausreden können“.
Deshalb fordert die CDU nun „einen detaillierten Zeitplan, bis wann die 3.000 ausreisepflichtigen Afghanen aus Hamburg abgeschoben werden“. Und ausdrücklich stellt Ahlhaus klar, die für dieses Jahr behördlich angepeilten 300 Abschiebungen seien „die absolute Untergrenze“.
Von den 15.000 afghanischen Flüchtlingen in Hamburg haben zwei Drittel einen gesicherten Aufenthaltsstatus, etwa 5.000 sind nur geduldet und gelten als „grundsätzlich ausreisepflichtig“. Als erstes sollen allein stehende Männer zwischen 18 und 60 Jahren in das kriegszerstörte Land zurückgeschickt werden.
Gegen die „inhumanen Abschiebe-Pläne des Senats“ protestierten gestern mehr als 2.000 Menschen in Hamburg. „Herr Nagel, lass uns leben!“ und „Bitte spielen Sie nicht mit dem Schicksal afghanischer Kinder“ hieß es auf Transparenten. In Sprechchören forderten sie ein Bleiberecht. Der Vorsitzende des Rats der afghanischen Flüchtlinge, Ahmad Shah Qaderi, betonte: „Wir lieben unser Land, aber wir sind kein Kanonenfutter.“ Bei dem gegenwärtigen Chaos in Afghanistan hätten Rückkehrer „nur die Alternative zu sterben oder mit Drogen zu handeln“.
weiterer bericht SEITE 7