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Archiv-Artikel

„Das deutsch-israelische Verhältnis ist normal“

1965 nahmen die Bundesrepublik und Israel diplomatische Beziehungen auf. Damals löste das in Israel einen Kulturkampf aus, heute ist es akzeptiert. Die Tabus sind verschwunden. Bis auf eines: deutsche Krimis im israelischen TV

taz: Herr Segev, heute vor 40 Jahre haben die Bundesrepublik und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Aber noch immer wird vor der Knesset demonstriert, wenn der Bundespräsident spricht und Abgeordnete boykottieren die Sitzung, weil auf Deutsch gesprochen wird. Ist das normal?

Tom Segev: Die Demonstration ist nicht repräsentativ. Es mag Politiker geben, die noch immer denken, mit einer antideutschen Position ließe sich politischer Profit machen. Ich glaube nicht, dass es wirklich breiten Widerstand dagegen gibt, dass der Bundespräsident auf Deutsch vor der Knesset spricht. Die Knessetabgeordneten, die protestiert haben, sind das letzte Überbleibsel eines Gefühls, dass eigentlich schon nicht mehr existiert.

Aber es sind nicht nur Abgeordnete – auch die populäre Radio-Moderatorin Irit Linur wetterte jüngst gegen den „Obersturmbannführer Benediktus den XVI.“.

Irit Linor versucht, ihre Romane zu vermarkten. Ich glaube wirklich, dass diese Haltung fast nicht mehr existiert, und wenn sie doch existiert, dann bei einigen Leuten, die sie für sich behalten. Leute, denen es von Herzen schwer fällt, nach Deutschland zu fahren. Aber auf öffentlicher Ebene hat eine antideutsche Haltung heute keine Bedeutung mehr. Was Ratzinger angeht: Viel entscheidender ist, dass der ehemalige Oberrabbiner Lau nach Ratzingers Nominierung zum Papst sofort erklärt hat, dass er ihn persönlich kennt und dass Ratzinger ein warmes Verhältnis zum jüdischen Volk hat. Lau kommt aus Buchenwald, Irit Linor aus Petach Tikwa (ein Vorort von Tel Aviv, A. d. R.).

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer lässt keine Gelegenheit aus, von der deutschen Verantwortung für den Staat Israel zu reden. Ist das im Blick auf eine deutsche Vermittlerrolle im Friedensprozess nicht kontraproduktiv?

Ich weiß nicht, ob es kontraproduktiv ist, sicher ist es weniger bedeutend als früher. Für Fischer gehört es einfach dazu, wenn er hier ist, aber es ist nicht das zentrale Element der deutschen Außenpolitik. Ich glaube, dass die Beziehungen auf die Interessen beider Staaten konzentriert sind. Die Vergangenheit wird immer weniger wichtig.

In ihrem Buch „Die siebte Million“ haben Sie analysiert, dass die Shoa in Israel an Bedeutung gewinnt. Beeinflusst dies das deutsch-israelische Verhältnis nicht?

Als die beiden Staaten vor 40 Jahren die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vorbereiteten, gab es Leute, die davor warnten, dass nun die Shoa in Vergessenheit geraten würde. Doch das genaue Gegenteil ist geschehen. Die Shoa wurde mit den Jahren immer stärker zum Teil der israelischen Identität. Inzwischen definieren sich acht von zehn Mittelschüler über die Shoa, dabei sind deutlich weniger aschkenasischer (europäischer, A. d. R.) Abstammung. Mir scheint, dass der Bezug zur Shoa in Israel sehr viel tiefer ist, als es diplomatische Beziehungen zwischen zwei Staaten jemals sein könnten. Hier geht es um unsere Identität – dort um Handelsbeziehungen.

Und das eine hat mit dem anderen nichts zu tun?

Interessanterweise – nein. Als Begin 1977 Regierungschef wurde, war die erste Frage: Wie sehen Sie die Beziehungen zu Deutschland? Damals war Mosche Dayan Außenminister und er hat eine sehr interessante Antwort parat. Er hat nicht von normalen Beziehungen gesprochen, sondern gesagt, dass die Beziehungen „profan“ sind. Ich finde das sehr treffend. Sie sind pragmatisch – an Interessen gebunden.

Immerhin tun sich die Leute bis heute mit dem Begriff „normal“ schwer.

Die israelisch-deutschen Beziehungen sind normal. Punkt. Israel hat schon wenige Jahre nach dem Krieg VWs eingeführt, ohne die Shoa zu vergessen. Wir haben Geld aus Deutschland angenommen, ohne deshalb die Shoa zu vergessen. Israel und Deutschland kaufen und verkaufen seit Jahrzehnten sogar Waffen. Das letzte Tabu war der Kulturaustausch, aber auch da sind wir uns näher gekommen. Das letzte Tabu ist, dass das israelische TV deutsche Krimis zeigt. Vielleicht sind sie einfach nicht gut genug. Gleichzeitig vergeht hier kein Tag, ohne dass die Shoa in den Medien erwähnt wird.

Verändert sich das Shoa-Bewusstsein in Israel? Wird es „universeller“?

Nicht unbedingt. Es gibt schon Indizien, dass die nationale Indienstnahme der Shoa nachlässt. In der neu gestalteten Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem findet man heute mehr über Roma und Sinti und verfolgte Homosexuelle als früher – und weniger national Israelisches. In der alten Ausstellung hing ein großes Bild, das den Mufti von Jerusalem und Hitler zeigte, das also Nazis und Araber als eine Front assoziierte. Dieser Shoa-Missbrauch hat aufgehört. Aber der Streit zwischen links und rechts geht weiter. Es gibt zum Beispiel rechte und linke Reisen für junge Israelis in Konzentrationslager: die linken betonen das Universelle, die rechten das nationale.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL