Steinzeit bei Union

Die Kicker aus Köpenick sind in die Oberliga abgestiegen. Morgen geht es noch mal gegen Preußen Münster

BERLIN taz ■ Ein gelbes Plakat erzählt von der jüngsten Idee des Vereins. „Steinzeit bei Union“ steht darauf. Es ist im Kassenhäuschen angeschlagen vor Block J, auf dessen Rängen Butterblumen wachsen. Fans können Backsteine erwerben, für 75 Euro das Stück. Der Name des Käufers wird in Stein graviert, anschließend werden die weinroten Ziegel in einem Stadiontunnel vermauert. Die finstere Unterführung hat man „Hall of Fame“ getauft. Das Namensspiel ändert nichts daran, dass die rühmlichen Zeiten bei Union Berlin vorbei sind. Der Ostklub ist in die Oberliga abgestiegen. Die Steinzeit beginnt für die „Eisernen“ in Liga vier. Dort hat der 1. FC Union seit seiner Gründung 1966 noch nicht gespielt.

Im Stadion „An der alten Försterei“ im Berliner Stadtteil Köpenick hat man einiges erlebt, schlechte Zeiten, aber auch gute mit dem Einzug ins Pokalfinale 2001 und dem Vordringen in die zweite Runde des Uefa-Pokals ein Jahr später. „Nun sind wir da angekommen, wo wir nie hinwollten – das ist pervers“, sagt Lars Töffling. Er ist Unions-Pressesprecher, allerdings nicht mehr lange. Im Juli muss er gehen. Pressesprecher sind in der Oberliga Luxus. Gegen diesen Kündigungsgrund hatte er wenig einzuwenden. Töffling ist einer von vier Mitarbeitern, denen gekündigt wurde.

Als er vor drei Jahren zu Union kam, stand sein Arbeitgeber auf Platz sechs der zweiten Liga. „Wir haben damals von der Bundesliga geträumt, aber jetzt ist das Horrorszenario eingetreten“, sagt er. Auch für ihn persönlich. Er will ehrenamtlich weiterarbeiten, „man hängt ja an dem Laden“. Es habe ein schleichender Prozess des Niedergangs stattgefunden, sagt er, „ich hatte ja fast nur Hiobsbotschaften zu verkünden“. Den Abstieg aus Liga zwei oder die Nachricht von einer „Liquiditätslücke über 1,85 Millionen Euro“, beides im Vorjahr. Die Regionalliga-Lizenz stand damals auf dem Spiel. Da gebar Union eine seiner Ideen. „Bluten für Union“ hieß die Aktion, die zur Blutspende und zum Kauf von „Rettungs-T-Shirts“ aufrief. Der FC Bayern schenkte dem Klub überdies ein Benefizspiel; nur die Reisekosten hatte Union zu begleichen.

Wir haben die treuesten Fans, sagen sie bei Union gern. Aber reicht das, um bei den Profis Fußball zu spielen? Die Vereinsführung hat eingesehen, dass sie nicht ständig die Anhänger schröpfen kann, wenn’s eng wird. Präsident Dirk Zingler, seit zehn Monaten im Amt, will von den Kollekten Abstand nehmen. „Wir können nicht nach jeder Saison mit der Sammelbüchse herumgehen, wenn das Geld wieder mal knapp wird, vor allem dann nicht, wenn wir den Anspruch haben, zweite Kraft in Berlin zu werden.“ Zingler (40), ein mittelständischer Unternehmer, spricht gern von „Nachhaltigkeit“, „Kostenanpassung“, von „sportlicher und wirtschaftlicher Kompetenz, den beiden Säulen des Erfolgs“.

Mit Zingler ist der visionäre Ausblick zu Union zurückgekehrt. Das ist eine Perspektive, die man fürchtet. „An tollen Visionen sind schon ganz andere Vereine zugrunde gegangen“, sagt ein Kenner des Vereins. „Der doppelte Abstieg in zwei Jahren hat Union um zehn Jahre in seiner Entwicklung zurückgeworfen“, glaubt er. Tennis Borussia ist in Berlin an großen Vorhaben gescheitert, ferner Union mit dem Unterfangen, Hertha BSC Paroli zu bieten, als sympathischer Ostklub, der nicht mit den DDR-Oberen kollaborierte, jedenfalls nicht so offenkundig wie der BFC Dynamo.

Hertha BSC steht als Solitär in der Berliner Fußballlandschaft, Konkurrenten sind nicht in Sicht, auch wenn Zingler das ein wenig anders sieht. Er spricht flott von der ersten Liga. Dort könne man jene Gewinne erwirtschaften, auf die Mäzen Michael Kölmel so lange wartet. Kölmel, Chef der „KM Medien“, subventionierte so manchen Fußballklub im Osten. Union Berlin hat er seinerzeit 10 Millionen Euro überwiesen. Von der Schuldenlast ist Union vorerst befreit. Den überwiegenden Teil hat Kölmel dem Verein erlassen, „quasi geschenkt“, wie Zingler konkretisiert. Der Rest wird 2010 in ein Darlehen umgewandelt. „Dr. Kölmel hat überhaupt nur eine Aussicht, an sein Geld zu kommen, wenn er dem Verein eine Entwicklungszeit lässt“, sagt Zingler, „er kann nicht gleich das frische Pflänzchen beschneiden.“

Das Bild vom zarten Spross ist eine einprägsame Metapher und nicht Zinglers letzte. Er spricht davon, wie man die Spreu vom Weizen trennt und alte Zöpfe abschneidet. Und außerdem müsse man künftig nicht nur in Beine investieren, sondern auch in Steine. Es ist Steinzeit beim 1. FC Union Berlin.

MARKUS VÖLKER