Ein Akzent wie ein Pflasterstein

DRAMEN Migranten sind an deutschen Theatern unterrepräsentiert. Mit dem Wettbewerb „In Zukunft“ in Nordrhein-Westfalen sollen nun Theaterautoren mit Migrationshintergrund gefördert werden

Wenn auf der Bühne Geschichten von Migranten erzählt werden, kommen dabei sicher auch mehr Migranten am Theater zum Zug – seien es Schauspieler, Dramaturgen oder Regisseure

VON BARBARA BEHRENDT

Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat ausländische Wurzeln, aber auf den Theaterbühnen ist davon nahezu nichts zu sehen. Zuletzt wurde über diese Diskrepanz heiß diskutiert, weil an einigen Häusern weiße Schauspieler Schwarze spielen, mit dunkel geschminkten Gesichtern („Blackfacing“). Ist es diskriminierend, eine schwarze Figur mit einem Weißen zu besetzen? Oder ist Rollentausch dem Theater eingeschrieben? In jedem Fall aber fragt man sich: Wo sind sie, die arabisch-, afrikanisch- und anders fremdstämmigen Schauspieler in den Ensembles?

Der vom Land NRW geförderte Wettbewerb „In Zukunft“, den das Westfälische Landestheater in Castrop-Rauxel initiiert hat, stößt nun von Autorenseite in die Debatte: Zusammen mit der Exile-Kulturkoordination e. V. in Essen hat er nur „Menschen mit Migrationshintergrund“ zum Stückeschreiben zugelassen. Ausgewählt wurden neun Autoren, die seit September an monatlichen Schreibworkshops teilnehmen dürfen; im Mai entscheidet eine Jury über das beste Stück, das dann in der nächsten Spielzeit am Landestheater uraufgeführt wird. Der Wettbewerb packt das Problem grundsätzlich an: Wenn auf der Bühne Geschichten von Migranten erzählt werden, kommen dabei sicher auch mehr Migranten am Theater zum Zug – seien es Schauspieler, Dramaturgen oder Regisseure.

Unter den Ausgewählten ist der Filmstudent Akin Sipal. Er wuchs in Gelsenkirchen und Istanbul auf und ist mit seinen 20 Jahren mit Abstand der Jüngste (die Älteste ist 60). In seinem ersten Theaterstück schreibt er über einen türkischstämmigen Geschäftsmann, der zwischen Istanbul und Hamburg pendelt – eine Flucht ins Jetset-Leben über den Wolken, weil er auf dem Boden nicht ankommt mit seiner Bikulturalität. Beim Workshop mit Maxi Obexer, Autorin und seit 2010 Gastprofessorin der Berliner Universität der Künste, liest er aus seinem bildstarken Entwurf. „Mein Vater hatte zwar einen Akzent wie ein Pflasterstein“, heißt es da, „aber er war mehr Preuße als alle hier zusammen.“ Die Journalistin Tanya Zeran, geboren in Hamburg-St. Pauli als Tochter türkischer Gastarbeiter, schreibt an einer Komödie: Bei „Sieben Männer für Hürmüz“ sucht jene Hürmüz, man ahnt es schon, den Richtigen.

„Was wir hier tun, ist das Beste, was man im Theater zurzeit tun kann“, meint Maxi Obexer. Unbestreitbar ist die gute Absicht des Wettbewerbs – aber braucht es wirklich eine gesonderte Ausschreibung für Menschen mit Migrationshintergrund? Ist es nicht geradezu stigmatisierend, diese (teils längst etablierten) Schauspieler, Künstler, Journalisten, Filmemacher nur deshalb zu fördern, weil sie die „richtige“ Herkunft mitbringen? „Wenn es auf anderem Weg nicht funktioniert, diese Menschen und ihre Geschichten auf die Bühne zu holen, dann ist eben eine Art ‚Quote‘ nötig“, argumentiert der Dramaturg Christian Scholze vom Landestheater, der die Idee für den Wettbewerb hatte. Seit zehn Jahren setzt er sich für Interkulturalität an seinem Theater ein – hier entsteht nun jedes Jahr eine Inszenierung zum Thema. Außerdem haben drei der sechs Schauspieler im Abendensemble eine Migrationsbiografie. „Man muss einfach nach vielen Wegen suchen – dieser Wettbewerb ist sicher nur einer davon.“

Die Teilnehmer jedenfalls fühlen sich nicht diskriminiert. Zwar hat Akin Sipal zu „diesem Migrantending ein zwiespältiges Verhältnis“, aber er sagt: „Lieber geb’ ich selbst meinen Senf dazu, als dass es andere tun, die keine Ahnung haben.“ Ohne die feste Struktur des Wettbewerbs und die Schreibworkshops hätte er sich wohl nicht an die Arbeit gemacht. Dem 31-jährigen Oleg Zhukov, in der Ukraine geboren und heute Film- und Theaterschauspieler in Deutschland, ist klar: „Wäre ich ganz auf mich allein gestellt gewesen, wäre es ein ganz anderes Stück geworden.“ Er ist sicher, dass die Ausschreibung vor allem das Thema Migration auf der Bühne voranbringen soll und nicht nur als direkte Hilfestellung für Migranten zu verstehen ist: „Was ist Heimat? Wir sind Experten für dieses Thema.“ In der Tat – hier versammeln sich Menschen, deren Wurzeln in Syrien, Nigeria, Jamaika, dem Iran, der Türkei und der Ukraine liegen.

Obwohl Scholze bewusst keine thematische Vorgabe machen wollte („Sie könnten auch über Fußball schreiben“), spielen unterschiedliche Kulturen und Wertvorstellungen, zerrissene Identitäten in jedes Stück hinein. Wie gut das letztlich gelungen ist, wird man erst im Mai wissen, wenn alle Texte fertig sind und die Jury, mit Mark Terkessidis und anderen prominent besetzt, ihre Entscheidung für das beste Stück bekannt gibt. Im Juni sind dann Lesungen an verschiedenen Orten geplant. An Stoffen jedenfalls mangelt es auch den jungen Schreibern nicht: „Leute aus Scheißverhältnissen haben immer etwas zu erzählen, und das sind in Deutschland eben oft die Migranten“, sagt Akin Sipal.