: Türken verschwinden von den Wählerlisten
Die Wählerlisten für die Landtagswahl schrumpfen: Mehrere hundert Deutschtürken wurden herausgestrichen, weil sie noch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen - und auf die Befragungsaktion der Landesregierung reagiert haben
RHEIN/RUHR taz ■ Mehrere hundert NRW-Bürger sind kurz vor der Landtagswahl von den Wählerlisten gestrichen worden: In Köln sind es 25, in Essen 45, in Duisburg sogar 233. Die Verschlankung der Wählerlisten resultiert aus einer Befragung durch die Meldebehörden: Sie wollten von den nach dem Jahr 2000 eingebürgerten Türken wissen, ob sie den türkischen Pass wieder angenommen haben. Alle, die mit ja geantwortet haben, sind nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht automatisch keine Deutschen mehr und am nächsten Sonntag nicht wahlberechtigt.
Die Androhung von Zwangsgeldern in Höhe von 250 Euro hat offenbar gewirkt: Nach wochenlanger Stagnation reagierten die Angeschriebenen jetzt doch in großer Zahl: In Bottrop haben 98 Prozent den Brief beantwortet. In Essen liegt die Rücklaufquote bei 95 Prozent, in Dortmund bei 88 Prozent. Selbst in Köln, wo die PDS die Briefe für datenschutzrechtlich bedenklich erklärten, sind 80 Prozent der Briefe beantwortet zurückgekommen.
Landesinnenminister Fritz Behrens (SPD) hat sich für die Mitarbeit der türkischen Staatsbürger bedankt: „Die betroffenen Menschen reagieren verständnisvoll. Sie haben erkannt, dass wir sie nicht diskriminieren, sondern für eine faire und ordnungsgemäße Landtagswahl sorgen“, so Behrens in einer Presseerklärung, die vor allem an die türkischen Medien adressiert wurde. „Die Zahlen zeigen, dass unsere Aufklärungsarbeit fruchtet“, interpretiert der Innenminister die hohe Rücklaufquote. Wer sich noch nicht gemeldet habe, sollte sich ebenfalls so schnell wie möglich den Behörden anvertrauen, rät er. „Keiner muss Angst haben.“
Dabei ist Behrens selbst von Angst getrieben: Jeder Boykottierer der Anfrage bedroht indirekt die Wahl. Theoretisch reicht die Stimme eines illegalen Urnengängers, um den Wahlausgang in Frage zu stellen. Je knapper das Ergebnis, desto größer die Gefahr einer Wahlanfechtung. Immerhin bis zu 20 Prozent der Angeschriebenen haben bisher nicht reagiert.
„Kein Grund zur Beunruhigung“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen (LAGA) in NRW. Wenn jemand nicht antworte, müsse es noch lange nicht heißen, dass er einen Doppelpass besitze. „Viele der Briefe sind wohl falsch adressiert worden“, interpretiert er die Lücke. Im Vorfeld der Integrationsratswahlen im Herbst 2004 seien in seiner Stadt Köln 90.000 Menschen angeschrieben worden – 16.000 Unterlagen kamen zurück, weil es die Adressaten nicht gab.
Dass sich so wenige als Doppelstaatler geoutet haben, wertet Keltek als Zeichen, „dass das Thema hochgepuscht wurde“. Der türkische Innenminister Abdulkadir Aksu hatte vor Monaten die Zahl von 50.000 „illegalen Doppelstaatlern“ lanciert – nach 10.000 wurde in NRW gesucht. Dafür gebe es keine Beweise, so Keltek. Die Aktion habe aber sogar legale Besitzer von zwei Pässen so weit verunsichert, dass diese sich auch nicht mehr zur Wahl trauten. NATALIE WIESMANN