„Keine Auskunft? Das geht nicht“

Susanne Panter bringt mit ihrer Agentur „Wiedersehen macht Freude“ Menschen zusammen, deren Wege sich vor langer Zeit getrennt hatten. Dafür streiten sie und ihre Kollegen mit bornierten Standesbeamten, wälzen Melderegister und rufen auch mal bei den Nachbarn an

„Wir sind keine Detektive. Wir suchen keine Leute,die sich verstecken“

INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN

taz: Frau Panter, vor vier Jahren haben Sie Ihre Agentur „Wiedersehen macht Freude“ gegründet – jetzt läuft auf Arte eine Doku-Soap. Glückwunsch.

Susanne Panter: Danke. Die Freude darüber ist sehr groß. Es gab immer wieder Anfragen von Privatsendern. Aber wir sind da skeptisch, weil die beim ersten Treffen dabei sein wollen. Das ist nicht in unserem Sinne. Aber das Arte-Team war sehr einfühlsam und respektvoll den Protagonisten gegenüber.

Was für Menschen kommen zu Ihnen? Wer sucht wen?

Es sind oftmals Freunde aus alten Tagen, bei denen sich die Spur verloren hat. Es sind Menschen, die Klassentreffen organisieren und merken, dass einer fehlt. Zum großen Teil, etwa zwei Drittel, sind es Familiensuchen, wo sich Verwandte aus den Augen verloren oder nie kennen gelernt haben. Deshalb haben wir jetzt auch einen Verein gegründet, der das Thema Familiensuche gesondert bearbeitet. Es geht dabei um die psychologische Betreuung und die Begleitung der Kontaktanbahnung, aber aber auch um die politische Ebene.

Inwiefern?

Wir sind Lobbyisten für Identitätssuchende geworden und wollen das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung weiter forcieren, auch international. Viele Soldatenväter werden gesucht, und die sterben langsam weg. Da wird es Zeit, dass auch die französischen und englischen Militärarchive geöffnet werden.

Wie gehen Sie vor?

Wir haben in der Regel den Vor- und Zunamen und wenden uns zuerst an die Melde- und Standesämter und fragen nach der Adresse. Wenn nötig, schicken wir eine Vollmacht von den Suchenden. Aber viele Ämter kennen uns schon.

Was kostet die Suche?

Bei Auftragsannahme sind 75 Euro zu zahlen, und wenn wir fündig geworden sind, 150 Euro Erfolgshonorar. Auslandssuchen, die etwa 20 Prozent der Fälle ausmachen, kosten 75 Euro mehr. Wir haben drei feste freie Mitarbeiter, die in Spanisch, Italienisch, Griechisch und Türkisch die Auslandsanfragen machen.

Wie gut können Sie davon leben?

Wir haben noch einen recht studentischen Lebensstil, aber wir können uns gut halten als Unternehmen. Wenn mein Geschäftspartner und ich knallharte Wirtschaftler wäre, würde das nicht gehen. Wir hoffen, über die Masse zu einem normalen Gehalt zu kommen.

Wie sind die Rechtsgrundlagen, auf denen Sie arbeiten?

Es gibt ein Verfassungsgerichtsurteil zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Dann gibt es ein Personenstandsgesetz, das aber nur direkt miteinander verwandten Menschen Einsicht in das Personenstandsregister erlaubt. Dann gibt es das Bürgerliche Gesetzbuch, das sagt, wenn jemand adoptiert ist, ist er nicht mehr verwandt. Aber Standesbeamte haben durchaus die Freiheit zu sagen, ja, es gibt einen Kommentar, den wir übrigens angeregt haben, und das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das es sehr wohl ermöglicht, Auskunft zu geben. Aber es gibt Standesbeamte, die ihre Macht ausspielen und sagen, nein, die sind nicht mehr verwandt laut BGB und deshalb gibt es keine Auskunft. Das lassen wir nicht durchgehen.

Was machen Sie dann?

Wenn Standesbeamte das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht anerkennen, dann geht der Weg über einen Amtsrichter, der sie anweist, eine Auskunft zu geben. In einem Fall hatten wir die gesuchte Person schon gefunden, weil man auch andere Wege beschreiten kann. Aber es geht ums Prinzip. Wir haben alle Innenministerien, die für die Meldeämter zuständig sind, angeschrieben und sie gebeten, uns zu bescheinigen, dass wir mit unseren Anfragen ein berechtigtes Interesse haben.

Worin besteht das?

Bei uns ist das berechtigte Interesse auch ein wirtschaftliches, weil wir damit Geld verdienen. Aber es ist auch ein berechtigtes Interesse, wenn jemand das Geburtsdatum seiner Nachbarin erfahren will, um ihr Blumen zu schenken, weil sie immer so nett ist.

Und wenn das nur ein Vorwand ist?

Wir sprechen die Frau an und fragen sie, ob es ihr recht ist, wenn ihr derjenige einen Blumenstrauß schenkt. Wir wollen nicht dafür herhalten, wenn jemand eine Rechnung zu begleichen hat.

Die Überraschung über die Blumen ist dann aber futsch.

Genau.

Was wollen Sie erreichen?

Wir wollen, dass der Kernbereich der Abstammung formuliert wird. Im BGB oder im Adoptionsvermittlungsgesetz. Das Personenstandsgesetz wurde gerade novelliert, da kriegen wir es nicht mehr rein. Aber da haben wir zumindest erreicht, dass Geschwister einander einsehen dürfen. Wir haben eine gewisse Referenz, weil wir auch beim Meldegesetz mitgemischt haben, indem wir zwei zusätzliche Identifikationsmerkmale eingebracht haben: Geburtstag und Geburtsort.

Gibt es Aufträge, die Sie ablehnen?

Wenn jemand einen Freund sucht, der möglicherweise von der Polizei gesucht wird. Wir sind ja keine Detektive.

Was unterscheidet Ihre Arbeit von einer Detektei?

Wir suchen keine Leute, die sich verstecken. Deshalb ist auch die Art der Suche anders. Eine Detektei ermittelt verdeckt und wir offen. Wir beschatten auch niemanden. Wir rufen vielleicht mal einen Nachbarn an.

Wie oft finden Sie Leute, die ihr Einverständnis zu einem Treffen nicht geben?

Einer von hundert etwa will nicht. Das sind oft Verwandtschaftssachen, wenn leibliche Väter verstorben sind und die Hinterbliebenen damit nichts zu tun haben wollen. Das passiert besonders oft in den USA. Ich vermute, aus Angst um das Erbe.

Wo stoßen Sie bei Ihrer Suche an Grenzen des Datenschutzes?

Aktuell stoßen wir gerade bei Siemens an eine Grenze, bei der Suche nach einem Vater. Wir haben eine ungefähre Schreibweise des Namens und eben die Information dieses Arbeitgebers. Über alte Telefonbücher und Meldeämter ist er nicht zu ermitteln. Siemens aber gibt keine Personaldaten raus, sondern sagt, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen nicht verletzt werden darf. Aber das widerspricht dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Es gab zwar ein Verfassungsgerichtsurteil, aber das bezieht sich nur auf staatliche Stellen. Und was ist mit privaten Stellen? Das wird eine der ersten Sachen sein, um die sich unser Verein kümmern wird.

Von der Ausbildung her sind Sie Kommunikationswirtin. Wie gehen Sie mit den Schicksalen um, die hinter Ihren Suchaufträgen stecken?

Einmal hatte ich einen Fall, wo jemand seine leibliche Mutter gesucht hat. Nach zwei Jahren habe ich die Frau gefunden. Als ich aus dem Urlaub zurückkam, erfuhr ich, dass sie vier Tage zuvor gestorben war. Das habe ich echt nicht ertragen und gedacht, oh Gott, wenn ich nicht im Urlaub gewesen wäre, dann hätten sich Mutter und Kind noch kennen gelernt. So Fälle besprechen wir bei unserer monatlichen Supervision. Ansonsten haben wir für Suchende eine Psychologin im Team, die ein Beratungstelefon betreut. Außerdem vermitteln wir Beratungsstellen für psychologische Hilfe. Uns würde das total überfordern.

Erfahren Sie, wie die Wiedersehen gelaufen sind?

Die Leute melden sich in weniger als zehn Prozent wieder, und das ist okay so. Es ist ja eine Dienstleistung, die wir anbieten. Wenn ich Bus fahre, gehe ich auch nicht zum Fahrer und bedanke mich, dass er mich wohin gefahren hat.

Es kommen auch Leute zu Ihnen, die mit ihrer Anfrage schon beim Roten Kreuz und der Polizei waren. Was machen Sie anders?

Ich vermute, und das ist jetzt eine gewisse Arroganz, wenn jemand beim Roten Kreuz arbeitet oder bei der Polizei, dann ist das für den nur ein Job. Für uns ist das zwar auch ein Job, aber wir haben uns den selbst ausgesucht und leben das. Dadurch sind wir gut in dem, was wir machen. Und wir hören nicht eher auf, bis wir wissen, wo man bestimmte Daten kriegt. Jemand, der irgendwo beamtet ist, der sagt, naja, dann eben nicht. Wir bleiben aber natürlich auch deshalb an den Fällen dran, weil wir das Erfolgshonorar brauchen, sonst zahlen wir gnadenlos drauf.

Was motiviert Sie so stark für die Suche?

Eine Familienaufstellerin hat mal gesagt, dass es daran liegt, dass meine eigene Familie sehr zersprengt ist. Ich bin ein doppeltes Scheidungskind, einmal mit zwei und einmal mit zwölf Jahren und habe wahrscheinlich mit der Muttermilch aufgesogen, dass es ganz schrecklich ist, wenn sich alle trennen. Meine Struktur scheint so zu sein, dass ich will, dass sich alle wiederfinden und lieb haben.

Müsste Sie es dann nicht umso mehr interessieren, wie die Wiedersehen waren?

Es ist eher eine Kapazitätsfrage. Aber jetzt, wo Sie mich so direkt fragen, weiß ich auch, warum ich gerne ein Buch schreiben möchte über einige Fälle, mit Interviews mit den Suchenden und den Gefundenen und der Geschichte dazu.

Sie sind ein Serviceunternehmen und müssen sich notgedrungen mit Politik befassen. Ist das schlimm?

Das hat sich so ergeben. Aber eigentlich ist Politik mein Lieblingsthema. Es ist gut, wenn man mitmischen kann. Die Arbeit in der Agentur ist ein Traumjob. Aber wenn eine gute Fee kommen oder ich im Lotto gewinnen würde, dann würde ich eine Partei gründen.

Was für eine wäre das?

Ich kann mich nicht mit der Form identifizieren, wie wir Demokratie leben. Ich bin der Meinung, dass Politik entsteht, indem sich die Menschen über Dinge austauschen und sich selbst eine Meinung bilden. Nicht in Talkshows, sondern im Open Space. Das ist eine Konferenzmethode, wo jeder gleichberechtigt zu Wort kommt. Ich habe meinen Freunden und Verwandten versprochen, wenn ich vierzig Jahre alt bin und noch nicht angefangen hab mit der Partei, dass ich dann für immer und ewig das Maul halte, was das betrifft.