: Die Macht der Masse
SPENDEN Wenn viele wenig geben, kann viel passieren. Crowdfunding entwickelt sich im Internet dynamisch zu einem neuen Wirtschaftszweig
Profiteure sind nicht nur findige Start-ups, die Gadgets vom iPod-Nano-Armband bis zum 3-D-Drucker über Vorbestellungen finanzieren. Crowdfunding ist in den USA bereits zu einer der wichtigsten Kultursponsoring-Vermittler avanciert. Im Jahr 2012 dürfte alleine Kickstarter mit geschätzten 150 Millionen Dollar mehr Geld als das National Endowment of the Arts verteilen, die wichtigste Kulturförderinstitution der USA.
Ähnlichen Bekanntheitsgrad wie Kickstarter hat in Deutschland inzwischen Startnext erreicht. Die Macher um Anna Theil, Denis Bartelt und Tino Kreßner verstehen sich als „Projektbeschleuniger im Bereich Kultur, Kunst und Medien“. Vieles erinnert an das US-Vorbild, etwa Projektpräsentation mit Spendenbalken und nach Spendenhöhe gestaffelte Belohnungen. Trotzdem ist Startnext eine waschechte Crowdfunding-Adresse. Zum einen versammelt die Seite vor allem kreative Ideen aus deutschsprachigen Ländern. Zum anderen gibt es eine lebhafte Community, die bereits zahlreiche kreative Entrepreneure zum Erfolg geführt hat, vom Fotografieprojekt „Paradise lost? Auf der Suche nach dem Paradies im Plattenbau“ über die Hörspielproduktion „Richard Diamond Privatdetektiv“ bis zu „Wild&Tame“, einem neuartigen Game-Controller aus Gummi.
Typisch deutsch sind auch vergleichsweise geringe Spendensummen, der Durchschnitt liegt bei 3.000 Euro, in den USA werden oft auch schon 100.000 Dollar auf einen Schlag gesammelt. Anders als das amerikanische Vorbild verzichtet Startnext zudem auf Provisionen. Denn seit Mitte 2011 ist das Modell als gemeinnützig anerkannt. Was nicht nur heißt, dass gespendete Beträge zu 100 Prozent beim Adressaten ankommen – Crowdfunding kann jetzt auch als Spende von der Steuer abgesetzt werden. Besonders profitieren davon Projekte, die selbst einen sozialen Ansatz haben.
Ein gutes Beispiel ist Prime Le Van Bo. Der Berliner Nachwuchsarchitekt hat mit seinen Do-it-yourself-Möbeln schon einige Berühmtheit erlangt – was wohl auch mit dem Label „Hartz-IV“ zusammenhängt. Passend zum Crowdfunding-Gedanken setzt Prim Le Van Bo auf Open-Source-Design. Die lizenzfreien Bauanleitungen für Sessel & Co. kann man kostenlos im Internet herunterladen. Um für sein Thema zu werben, plante Le Van Bo im letzten Jahr eine Design-Ausstellung im Kreuzberger Betahaus – unter dem Label „Hartz IV Wohnung“. In der Ausstellung sollte eine komplette Einraumwohnung aus DIY-Möbeln gezeigt werden, speziell geeignet für den Original-Berliner Plattenbau. Für die Finanzierung des Low-Budget-Projekts wurde die Internet-Crowd angezapft. Le Van Bo konzipierte die Crowdfunding-Kampagne auf Startnext. Spendenziel waren 3.000 Euro. Wie es sich gehört, gab es auch ein „Pitch-Video“, um die Spendermassen direkt anzusprechen: Es gehe darum, „auf minimalem Wohnraum maximale Lebensqualität zu ermöglichen: essen, arbeiten, schlafen und knutschen“. Gesagt, getan: In wenigen Wochen waren die notwendigen Spenden im Kasten – 64 Unterstützer hatten 5.200 Euro gespendet.
Um die Idee noch weiter zu propagieren, lief bis Mitte März 2012 dann eine zweite Spendenkampagne – Le Van Bo will nun ein Do-it-yourself-Handbuch zum günstigen Möbelbauen herausbringen. Neben Crowdfunding setzte der selbst erklärte Karma-Ökonom dabei auf Crowdsourcing – via Facebook konnte seine Community auch über den Inhalt des Buchs mitbestimmen. ANSGAR WARNER