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Archiv-Artikel

Angebliche Attentäter exekutiert

WEISSRUSSLAND Trotz Zweifeln an ihrer Täterschaft wie am Verfahren wurden zwei Männer für den Anschlag auf die Minsker U-Bahn 2011 hingerichtet

BERLIN taz | Dmitri Konowalow und Wladislaw Kowaljow sind tot. Die jungen Männer aus der weißrussischen Stadt Witebsk, die im November 2011 in der Hauptstadt Minsk zum Tode verurteilt wurden, sind vergangene Woche per Genickschuss hingerichtet worden. Am Sonntag bestätigte das weißrussische Staatsfernsehen offiziell die Hinrichtung der „Terroristen“.

Konowalow und Kowaljow, so das oberste Gericht, seien für den Terroranschlag auf die U-Bahn in Minsk verantwortlich. Dabei starben am 11. April 2011 15 Menschen, 300 wurden verletzt. Viele Verletzte bleiben Invaliden. Konowalow hätten den Terroranschlag inszeniert, Kowaljow die Tatwaffen versteckt. Er habe von dem geplanten Attentat gewusst, die Behörden aber nicht informiert, so das Gericht. Während Konowalow ein volles Geständnis ablegte, gestand Kowaljow nur, von dem geplanten Attentat gewusst zu haben. Später widerrief er das Teilgeständnis, weil es unter Zwang zustande gekommen sei.

Ljubow Kowaljowa, die Mutter von Wladislaw Kowaljow, ist weiter von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt. In einer ersten Reaktion nach Bekanntwerden der Hinrichtung warf sie den Verantwortlichen vor, sie hätten sich mit der schnellen Hinrichtung an ihr rächen wollen, weil sie immer für ihren Sohn gekämpft habe. Ihr Kampf für ihren Sohn sei mit dessen Hinrichtung nicht beendet. Sie werde weiter Weißrusslands Präsident Lukaschenko um ein Gespräch bitten, nicht nur, weil sie ihm einmal in die Augen sehen wolle, sondern auch, weil sie noch vieles berichten wolle, was die Unschuld ihres Sohnes beweise. Von Anfang an sei das Szenario des Prozesses klar gewesen: Während sich Konowalow mit den Ermittlungsbehörden arrangiert habe, habe ihr Wladislaw immer die Wahrheit gesagt, so die Mutter.

Justiz ist nicht unabhängig

Die weißrussische Menschenrechtlerin Natalja Radina von der Organisation Charta 97 verurteilte die Exekutionen. „Ich bin nicht sicher, ob Konowalow und Kowaljow unschuldig sind“, so Radina. „Doch man hätte sie nicht töten dürfen. Schon deswegen nicht, weil es in der heutigen Diktatur in Belarus nicht möglich ist, überzeugende Schuldbeweise auf den Tisch zu legen. Keine Behörde ermittelt unabhängig, im KGB-Gefängnis werden die Untersuchungshäftlinge gefoltert, die Gerichte entscheiden wie von oben befohlen.“

Am Samstagabend wollten Bürger der Kleinstadt Witebsk in der Repin-Straße Blumen vor dem Haus der Familie Kowaljow ablegen und Trauerkerzen entzünden. Doch sie kamen nicht dazu, weil die Miliz das Haus abgeriegelt hatte. Auch in der Minsker U-Bahn fanden sich Blumen und Kerzen am Ort des Attentats. Ein Foto von Kowaljow wurde jedoch sofort beschlagnahmt. In Moskau wurde das Polizeiaufgebot vor der weißrussischen Botschaft verstärkt, nachdem Aktivisten per Twitter dort zu einer Mahnwache aufgerufen hatten.

BERNHARD CLASEN

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