: „Ein lupenreiner Antidemokrat“
PROTEST Bei Auftritten in Deutschland wurde der türkische Ministerpräsident stets bejubelt. Jetzt demonstrierten 25.000 Menschen gegen ihn. Dabei hatte Recep Tayyip Erdogan seinen Besuch im letzten Moment abgesagt
■ Benannt nach den leitenden Angestellten der Kohlezechen, werden die „Steiger Awards“ seit 2005 vergeben. In den Kategorien Film, Musik, Kunst, Sport, Charity, Umwelt, Toleranz und „Engagement zur Einigung Europas“ sollen laut Selbstdarstellung „Persönlichkeiten“ geehrt werden, „die sich durch Geradlinigkeit, Offenheit, Menschlichkeit und Toleranz auszeichnen“.
■ Wer die undotierte Ehrung erhält, entscheidet eine Jury. Doch deren Mitglieder sind genauso geheim wie die Vergabekriterien. Treibende Kraft hinter dem Preis ist der 1977 geborene Bochumer Medienunternehmer Sascha Hellen. (wyp)
AUS BOCHUM ANDREAS WYPUTTA
Fast 25.000 Menschen haben am Samstag in Bochum gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan protestiert. Bei getrennten Demonstrationen warfen Aleviten, Kurden, Armenier und türkische Sozialdemokraten Erdogan und dessen Partei Menschenrechtsverletzungen vor. Erdogan sei ein „Mörder“, seine AKP eine „Killer-Partei“, hieß es auf Transparenten der rund 22.000 alevitischen Demonstranten unter Verweis auf das Pogrom von Sivas im Jahr 1993 (siehe unten). Erdogans Regierung decke die „Drahtzieher und Täter des Massakers“, sagte der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, Ali Dogan. Erst am Dienstag habe die „von der AKP dominierte türkische Justiz“ den Fall für verjährt erklärt.
Auslöser der Proteste war die geplante Verleihung des „Steiger Awards“ in der Kategorie „Europa“ an Erdogan. Zu den weiteren Preisträger zählen in diesem Jahr die schwedische Königin Silvia, der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler und der Modemacher Wolfgang Joop.
In der Nacht zu Samstag hatte Erdogan jedoch seine Deutschlandreise abgesagt, was mit dem Absturz eines türkischen Militärhubschraubers in Kabul begründet wurde, bei dem mindestens ein Dutzend Menschen ums Leben kamen. „Ob, wann und wie“ Erdogan den Preis noch erhält, sei unklar, sagte eine Sprecherin des Veranstalters der taz.
Schon zuvor hatten Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände die Auszeichnung kritisiert. Die sei „ein Schlag ins Gesicht der Opfer von willkürlicher Haft und Folter in der Türkei“, schrieb der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch. Erdogan trage die Verantwortung für „Repressalien gegen regierungskritische Journalisten und für willkürliche Verhaftungen von Berichterstattern“, klagte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken. In der Türkei sind derzeit rund hundert Journalisten in Haft.
Der Publizist Ralph Giordano kritisierte Exkanzler Gerhard Schröder, der die Laudatio halten sollte. Erdogan leugne den Völkermord an den Armeniern und verkörpere „diese türkische Lebenslüge wie kein Zweiter“.
Mehr Gegner als Fans
„Erdogan ist ein lupenreiner Antidemokrat“, betonte auch der Alevit Dogan im Gespräch mit der taz. Seine Religionsgemeinschaft, die sich aus dem schiitischen Islam entwickelt hat, werde von der sunnitischen Mehrheit in der Türkei noch immer unterdrückt.
Drastisch war auch der Protest kurdischer Gruppen: Knapp 1.000 DemonstrantInnen trugen stilisierte Särge durch Bochum, die mit den Worten „Getötet von Erdogan“ oder „Getötet durch das türkische Militär“ beschriftet waren. Erinnert wurde damit auch an einen Luftangriff auf angebliche PKK-Rebellen, bei dem Ende Dezember über 30 Zivilisten getötet wurden.
Im gut gefüllten Bochumer Ruhrstadion, in das knapp 30.000 Menschen passen, lobten Vertreter des Vorstands der alevitischen Gemeinde immer wieder die hohe Teilnehmerzahl: Die 22.000 Demonstranten repräsentierten den Kampf großer Teile der türkischen Community in Deutschland gegen die Politik der türkischen Regierung.
Auch Erdogan selbst nutzt Reisen in die Bundesrepublik zu Wahlkampfzwecken. Bei einer Rede in Köln 2008 nannte er Assimilation „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Im März 2011 konnte er allerdings nur 10.000 Anhänger nach Düsseldorf locken.