: Die siebzehnte Arbeitsgruppe
Eine erfahrene Psychologin soll bei den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD auch schwierige Politiker*innen in Schach halten
Von Volker Surmann
Das Auffälligste an Charlotte Bloch sind ihre martialischen Tattoos und ihre rotblonden Haare. Wollte man Vergleiche bemühen, müsste man sie wohl als sympathische Mischung aus Sven Marquardt und Sandra Hüller beschreiben. Zum wachen Blick gesellt sich eine Ausstrahlung aus klugem Selbstbewusstsein und natürlicher Durchsetzungskraft. Mit anderen Worten: Charlotte Bloch hat all das, was Friedrich Merz nicht hat. Sie könnte Kanzler, ist aber zufrieden in ihrem Job als Therapeutin und Coach. Als Koalitionspsychologin leitet sie jenes Team, das dafür sorgen soll, dass die Verhandlungen um die Regierungsbildung aus CDU und SPD so still und unsichtbar ablaufen wie eine Ampel bei Dunkelflaute.
Die Endvierzigerin mit einer überraschend weichen Stimme gibt sich optimistisch. Nicht ganz zu Unrecht, denn diese Frau war schon überall im Einsatz, wo es hart zur Sache geht: Hochsicherheitsknast, Afghanistan, Forensik, Weltschachverband. „Da werden wir ein paar Politclowns auch wuppen“, ist sie fest überzeugt und fügt an: „Das hätte die Ampel eigentlich auch gebraucht, aber Volker Wissing meinte ja, er schaffe das selbst.“ Sie seufzt.
Charlotte Bloch zur Seite steht ein Team aus hartgesottenen Psycholog*innen, erfahrenen Therapiekräften und weiteren Fachleuten. Sogar ein Pfarrer ist dabei. „Er war zuletzt Seelsorger in einem Freiburger Schweigekloster. Und ich sag mal so: Wer Badensern das Schweigen lehrt, sollte es auch bei der SPD schaffen“, ist Bloch überzeugt. Sicherheitshalber hänge im Beichtstuhl auch ein Punchingball für körperliche Ablasshandlungen.
So oder so gehe man die Sache ganzheitlich an. „An jedem Verhandlungsort gibt es einen Fitnessraum, in dem die Verhandelnden über den Tag angestaute Aggressionen unter Aufsicht abreagieren können. Es gibt Sandsäcke in allen Parteifarben. Auch wenn die Grünen nicht mit am Tisch sitzen, haben die seit letzter Woche schon deutliche Bissspuren“, erzählt Bloch und verrät, dass das koalitionäre Fitnessprogramm der als „Schleifer“ bekannte ehemalige Fußballtrainer Felix Magath leite. „Das ist schon komisch: Ausgerechnet die Christdemokraten haben am meisten Probleme mit Disziplin und Magaths Motto ‚Drill, Baby, Drill!‘. Außer Carsten Linnemann lässt sich wohl niemand gern ‚Baby‘ nennen.“
Aber wie soll das Durchstechen von Informationen verhindert werden? Da arbeite man mit Maximen aus der Umgebungspsychologie. „Also jetzt nicht mentale Farben im Verhandlungsraum oder ähnlichen Quatsch“, meint Bloch, es gehe stattdessen um „möglichst reizarme Orte mit wenig Möglichkeiten zur Interaktion mit der Außenwelt“.
Besonders sensible Gespräche finden daher in Umgebungen ohne Mobilfunkempfang statt, verrät uns Bloch. Da sei Deutschland vorbildlich aufgestellt: Hunsrück, Teutoburger Wald, Sachsen-Anhalt. Die Arbeitsgruppe Digitalisierung trifft sich etwa in einem Baumhaus bei Bielefeld, die neue Grundsicherung wird in einem Schlauchboot auf der Müritz ausgebrütet.
„Wo die Runden jedoch im urbanen Raum stattfinden, sammeln wir vor Verhandlungsbeginn alle Mobiltelefone, Tablets, Smartwatches und sonstigen internetfähigen Geräte ein. Steuerpolitik ist langweilig, da liegt der Schritt von Candycrush zu Tiktok leider nah.“ Die Geräte werden durchgängig von einer Security bewacht. Bei der setze man auf ehemalige GSG-Beamte. „Die haben dir schneller die Finger gebrochen, als du ‚Axel Springer‘ tippen kannst“, feixt Charlotte Bloch.
Leider gebe es jedoch Personen – amtierende Minister, selbst erklärte Alphamännchen und Delegationsleiter*innen –, die ständig erreichbar sein müssten. „Diesen kommunikativen Sicherheitsrisiken stellen wir dann Einzelfallbetreuer*innen an die Seite. Man muss sich das wie einen Bodyguard vorstellen, nur für verbale Äußerungen. Wir sprechen da von ‚Mouthguards‘.“
Aber das hat im Falle von Boris Pistorius und seinen Ausfällen gegenüber CSU-Verhandler Alexander Dobrindt und dem Christdemokraten Thorsten Frei („wirklich unangenehm“, „sie haben kein Gewissen“) schon mal nicht funktioniert, stellen wir fest. „Ja, das war ganz am Anfang. Ein therapeutischer Fehlschlag, wenn man so will“, räumt Charlotte Bloch zerknirscht ein. „Der Kollege gab Boris Pistorius den Auftrag, nur noch die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit, und ging davon aus, damit bringe man einen Politiker am ehesten zum Schweigen. Aber der Kollege hat selbst nie gedient. Pistorius nahm seine Anweisung als Dienstbefehl. Das wird nicht wieder vorkommen.“
Der Sozialdemokrat Pistorius habe nun ebenso einen Mundschützer wie andere „Problembären. „Das mag etwas despektierlich klingen, aber so nennen wir halt die schwierigeren Fälle.“ Die SPD-Parteichefin Saskia Esken befindet sich in der Obhut eines Diplompsychologen und nebenberuflichen Hundetrainers (spezialisiert auf Mastiff, Dobermann und notorische Kläffer), die ehemalige RTL-Supernanny Katharina Saalfrank soll den CDU-Dauerwelpen Philipp Amthor davon abhalten, mit dem ewigen Jungreporter Fabian Köster von der ZDF-Satiresendung „heute-show“ zu turteln, zwei Einzelfallpsychiater kümmern sich im Schichtdienst um den unberechenbaren Bayernchef Markus Söder.
„Beide kennen sich mit Systemsprengern bestens aus“, weiß Charlotte Bloch. Berüchtigte Vieltwitterer wie der bisherige SPD-Minister Karl Lauterbach dürften während der gesamten Koalitionsverhandlungen ohnehin nur Fäustlinge tragen.
Sogar die Verhandlungsprotokolle der Arbeitsgruppen werden nur auf mechanischen Schreibmaschinen verfasst. Das alles birgt Risiken, weiß auch Charlotte Bloch. Die Absenz digitaler Endgeräte wird für Ruhe in den sozialen Medien sorgen. „Aber es werden sicher auch ein paar sehr weltfremde Ergebnisse im Koalitionsvertrag stehen. Weil halt niemand googeln und Fakten checken kann.“
Wie aber möchte Blochs Team verhindern, dass die Unterhändler*innen nach getanem Tagwerk abends in der nächsten Weinbar mit der Journaille plaudern?
„Na ja“, sagt Charlotte Bloch. „Auch da sind die ruralen Arbeitsgruppen fein raus. Versuchen Sie mal, an der Müritz oder im Teutoburger Wald nach Sonnenuntergang eine geöffnete Weinbar zu finden!“ Sie lacht schallend. „Und in den anderen Gruppen arbeiten wir mit proaktivem Socializing und Präventivcatering nach der bewährten Brüderle-Kubicki-Methode.“
Und das heißt? „Na ja, es ist gesundheitspolitisch vielleicht nicht ganz korrekt, aber wir trinken abends gemeinsam in der AG und füllen die Politiker*innen gleich vor Ort nach allen Regeln der Kunst ab. Das ist auch super fürs Teambuilding.“
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