: „Deutschland gehört uns auch“
TAZ-Serie zur NRW-Wahl Teil IV: Nach 34 Jahren Leben in Deutschland ist der Bergbauingenieur Yakub Tufan aus Dinslaken in die CDU eingetreten. An der passt ihm zwar Einiges nicht, aber eine ehrliche und tatkräftige Union ist ihm lieber als eine SPD, die bei der Zuwanderung nur halbe Sachen macht
von NATALIE WIESMANN
Er könnte der Bürgermeister von Dinslaken-Lohberg sein. Jedem Zweiten, den Yakub Tufan auf der Straße trifft, schüttelt er breit lächelnd die Hand und wünscht ihm einen guten Tag. Dabei macht er keinen Unterschied zwischen Türken und Deutschen, zwischen Moscheebesuchern, Apothekern und Zechenkollegen. Das grüne Sakko und die gelb-grün gemusterte Krawatte lassen vermuten, der 50-Jährige sei der Repräsentant dieser Stadt. Doch Yakub Tufan ist Frührentner. Seit 34 Jahren lebt er bereits im Zechenviertel Lohberg. Bis vor einem Jahr war die Zeche sein Arbeitsplatz. „Man hat uns damals als einfache Arbeiter angeworben“, erzählt er in fehlerfreiem Deutsch. Doch der Mann aus Yozgat, einer Stadt in Zentralanatolien, hat sich hochgearbeitet: Erst besuchte er Deutschkurse, dann studierte er und wurde schließlich Bergbauingenieur in der Zeche. Bei einem Besuch in der Türkei lernte er seine Frau Gülhanim kennen und nahm sie mit nach Deutschland, gemeinsam haben sie vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne.
„Deutschland gehört uns auch“, sagt Tufan bestimmt, während er selbstbewusst die Straße entlang schreitet. „Dieses Land ist nicht für Deutsche reserviert, sondern für alle, die in Deutschland leben.“ Um dies zu betonen, wurde Yakub Tufan vor zwei Jahren deutscher Staatsbürger. Seine Stimme wird lauter: „Wir wollen Integration statt Assimilation.“ Das versucht er jetzt auch der CDU beizubringen. Im vergangenen Herbst ist er in die Union eingetreten. „Die CDU kennt uns Migranten nicht“, meint er. Das soll sich jetzt zumindest in Dinslaken ändern. Der türkische Ingenieur will mit den Christdemokraten über Kopftuchverbote und Bildungsprobleme von Migrantenkindern debattieren. „Wir müssen uns einmischen.“
Das ist Yakub Tufans Weg, Dinge zu verändern. Statt zuzugucken, ist er mitten drin. Seit elf Jahren ist er Mitglied des Integrationsrats und sitzt neuerdings als sachkundiger Bürger im Bauausschuss der Stadt. Außerdem ist er Vorsitzender des türkischen Bildungszentrums, das direkt neben der Moschee, in einer alten Schule, angesiedelt ist. Hier gibt es Nachhilfeunterricht und Theaterprojekte, Deutsche können hier Türkisch lernen.
Ein paar Meter von Gebetshaus und Zeche entfernt steht Tufans Zechenhaus, das er vor vielen Jahren gekauft hat. Die Fassade ist im Kohlestaub ergraut, drinnen geht es durch einen geschwungenen Bogen aus bunten Fliesen ins Wohnzimmer. „Das ist türkische Fliesenmalerei“, erklärt Turunc, seine Tochter.
Die 21-Jährige wohnt seit zwei Jahren in Bochum, wo sie Orientalistik und Pädagogik studiert. Alle zwei Wochenenden kommt sie nach Hause. Ihre Schwester Zekiye und sie, beide unter rosa Kopftüchern und in langen Jeansröcken, servieren gekonnt Tee. Sie sind es gewohnt, Gäste zu empfangen. Seine beiden jüngeren Söhne kommen auch herein und setzen sich auf die mit orientalischem Stoff bespannten Bänke. 20 Menschen können hier Platz nehmen, deutsche Schulklassen haben bei den Tufans schon gesessen um „unsere Kultur kennen zu lernen“. Darauf ist Yakub Tufan stolz.
2.000 Euro, davon lebt die sechsköpfige Familie Tufan im Monat. „Wir leben bescheiden“, sagt der Rentner. Wichtig seien ihm und seiner Frau, den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Auch ein Grund für Tufan die CDU zu wählen. Die habe angekündigt, Migrantenkinder in der Schule besser zu fördern. Außerdem will seine Partei Arbeitsplätze schaffen und sich für Bürokratieabbau einsetzen, rattert er das Wahlprogramm herunter, als wäre er schon seit 30 Jahren dabei. Dass alle antreten, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, ist für ihn kein Argument. „Die SPD sagt nur, sie bemühe sich jeden Tag. Das reicht nicht“, wettert Tufan. „Ich kann einen Döner bestellen, doch solange er nicht da ist, werde ich nicht satt“, sagt er und lacht.
Dann wird er wieder ernst. Besonders unter den Migranten in NRW sei die Arbeitslosigkeit hoch. „Die SPD ist müde. Hier läuft irgendetwas schief.“ Von den Sozialdemokraten und den Grünen ist Tufan enttäuscht. „Schauen Sie sich das Staatsbürgerschaftsrecht an oder das Zuwanderungsgesetz, das sind negative Gesetze.“ Dabei würden diese Parteien immer so tun, als ob sie sich für die Migranten einsetzen. Die CDU sage zumindest offen und ehrlich, was sie denke, auch, und das gibt er offen zu, wenn ihm vieles nicht passe. Das Kopftuch zu verbieten, habe doch mit Religionsfreiheit nichts zu tun. Oder das Schreckgespenst der Parallelgesellschaften. Damit könne er nichts anfangen, denn die gebe es immer: Reiche und Arme, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Junge und Alte.
„Dramatisch“ findet Tufan, dass zurzeit viele seiner Landsleute ausgebürgert werden, weil sie nach dem Jahr 2000 unerlaubterweise die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen haben. „Das vergiftet die Stimmung unter den türkischen Migranten und schadet der deutsch-türkischen Freundschaft“, ärgert er sich.
Tufan aber arbeitet weiter an der Annäherung von Türken und Deutschen. „Egal ob jemand positiv oder negativ über mich redet, er ist nicht mein Feind.“ Wenn er so redet, schwingt immer mit, dass er ein religiöser Mensch ist. Der Glaube mag sein Antrieb sein, sich nicht enttäuscht zurückzuziehen, immer wieder auf die Deutschen zuzugehen.
Jürgen Rüttgers oder Peer Steinbrück – auf eine Diskussion, wer von den beiden mehr Charisma hat oder der bessere ist, will sich Yakub Tufan gar nicht einlassen. „Ich bin ein zuverlässiger Mensch.“ An seiner Wahl wird er nicht mehr zweifeln.
Auch Turunc, die älteste Tochter, sympathisiert mit der Union. „Ich weiß, dass das paradox ist“, gibt sie zu und schaut dabei leicht verunsichert weg. „Sie wollen türkisch-islamische Vereine stärker als Ansprechpartner in die Politik einbinden und fordern Islamunterricht in deutscher Sprache“, zählt sie auf. Das kommt ihrem Berufsziel entgegen, denn Turunc würde gerne später als Lehrerin den Islam unterrichten – und ihr Kopftuch aufbehalten. „Auch die CDU muss irgendwann einsehen“, sagt sie bestimmt, „dass es nichts bringt, uns moslemischen Frauen Steine in den Weg zu legen.“ Denn das Kopftuch werden sie und ihre Schwester auf keinen Fall ablegen.
Tufans Töchter können noch nicht sagen, wo sie am 22. Mai ihr Kreuz setzen werden. „Ich entscheide das in letzter Sekunde“, sagt die 20-jährige Zekiye, die im nächsten Jahr ihre Ausbildung als Erzieherin beenden wird. Sicher ist nur, dass sie wählen gehen. „Wenn wir schon das Wahlrecht haben, müssen wir es auch nutzen.“ Bei der Kommunalwahl habe sie schon die CDU gewählt, weil sie die Bürgermeisterin Sabine Weiß gut finde. „Frau Weiß hat einen guten Kontakt zu den Migrantenorganisationen“, springt der Vater bei, hier als das Mädchen zögert.
In Geduld und Zuversicht scheint die ganze Familie geübt zu sein. Turunc wird nicht nervös, wenn sie an ihre Zukunft denkt. Ihr Vater steht auf und fragt Zekiye, ob sie ihn mit dem Auto in die Stadt fährt. Yakub Tufan hat einen Termin mit seiner Partei. „Wir müssen über die Qualität des Trinkwassers in Dinslaken reden.“