: Der Gerichtssaal als Bühne
Beim Castortransport 2003 schloss die Polizei ganze Dörfer ein. Willem Wittstamm hat dagegen Klage eingereicht
Kläger Willem Wittstamm, Aktionskünstler und Atomkraftgegner aus dem Wendland, freut sich auf sein Verfahren vor dem Lüneburger Verwaltungsgericht. „Für mich als darstellenden Künstler ist der Prozess eine neue Herausforderung“, sagt er. Das Gericht werde heute eine kleine „Bühnen-Premiere“ erleben. Seinen „Text“ hat er aus den über 100 vorliegenden Protokollen der damals eingekesselten Einwohner zusammengestellt.
Am 11. November 2003 fuhren zwölf mit Atommülltonnen beladene Spezial-Laster von Dannenberg aus Richtung Zwischenlager. Kurz nach Mitternacht glich dann das Dörfchen Laase – nahe bei Gorleben gelegen – einer Polizeifestung. Etliche Mannschaftswagen waren aufgefahren, Blaulichter zuckten, an Masten montierte Scheinwerfer tauchten die Hauptstraße in gleißendes Licht. Zufahrten, auch kleinste Wege, waren abgesperrt. Niemand konnte passieren.
Im Laufschritt stürmte eine Hundertschaft auf den „Musenpalast“ zu – in dem großen Zelt, das rund 500 Meter von der Castorstrecke entfernt und damit weit außerhalb der „Demo-Verbotszone“ aufgebaut war, lief seit 50 Stunden ein von Wittstamm organisiertes Non-Stopp-Kulturprogramm gegen den Castortransport. Dort blieb man zunächst gelassen: Die Veranstaltung war genehmigt, das Zelt gut beheizt, für Essen und warme Getränke gesorgt.
Doch starke Polizeiketten riegelten auch die Kreuzungen vor dem Zelt ab, niemand konnte hinein oder heraus – auch alarmierte Rechtsanwälte nicht. Erklärungen oder Lautsprecherdurchsagen blieben aus. Erst auf mehrfaches Nachfragen sagte ein Polizei-Sprecher, man habe Erkenntnisse über ein „erhöhtes Gefährdungspotenzial“ in Laase und im benachbarten Grippel. Deshalb seien alle dort Anwesenden in Gewahrsam genommen. Wer versuche, das Terrain zu verlassen, mache sich strafbar.
Fassungslos und frierend standen viele Menschen in den Abgasen der Polizeibusse. Eine Lehrerin, die im „Musentempel“ gelesen hatte, wollte nach Hause und Laase über die der Castorstrecke abgewandte Seite verlassen. Für sie gab es ebenso wenig Durchlass wie für einen Bundeswehrsoldaten, der seinen Dienst antreten musste.
Willem Wittstamm berichtet von „erschreckenden Erfahrungen“, auch im Vorfeld der Gerichtsverhandlung. „Meine Rechtsanwältin wurde behindert, wo immer es ging. Protokolle wurden zurückgehalten, Akteneinsicht unter fadenscheinigen Gründen verweigert“. Jetzt hofft er auf viele Zuschauer im Gerichtsaal. „Toll wäre, wenn viele, die damals im Kulturzelt einen warmen Hintern hatten, am Donnerstag dabei sind, um all die unglaublichen Details durch spontane Zurufe aus dem Publikum bestätigen zu können.“ Die Verhandlung beginnt um 9.30 Uhr. REIMAR PAUL