„Man muss seine Angst besiegen“

Der kommende Schlag ist immer der schwerste: Die Songwriterin Aimee Mann über ihre neue Leidenschaft für den Boxkampf, die Parallelen zwischen Sport und dem richtigen Leben – und wie das Thema ihr aktuelles Album „The Forgotten Arm“ prägt

INTERVIEW MICHAEL TSCHERNEK

taz: Frau Mann, Sie haben vor rund 18 Monaten begonnen, Unterricht im Boxen zu nehmen. Geschah das mit der Absicht, diese Erfahrung in ihr neues Album einfließen zu lassen?

Aimee Mann: Nein, das ist eher umgekehrt entstanden. Ich habe mein Interesse für das Boxen entwickelt und wollte ein wenig davon in meine Songs einfließen lassen. Außerdem verschmelzen für mich eine Reihe von Leuten, die ich kenne, in der Figur des Boxers. Einer von ihnen ist tatsächlich selbst ein Boxer gewesen, bevor er begann, Drogen zu nehmen. Das lief alles auf Selbstzerstörung hinaus. Einen Teil seiner traumatischen Vergangenheit habe ich in mein Album einfließen lassen.

Das Cover von „The Forgotten Arm“ zeigt zwei Boxer im Clinch. Wofür stehen die beiden Figuren?

Mir geht es im Grunde mehr um die versteckten Sachen zwischen den beiden Protagonisten: Beide schleppen ein Trauma aus der Vergangenheit mit sich herum, und sie versuchen, ihrer Vergangenheit zu entkommen. Aber früher oder später im Leben taucht irgendetwas auf, was einen wieder an seinem Vergangenheit erinnert. Das ist der Gedanke des „Vergessenen Arms“: Die Vergangenheit, die wieder aufersteht, um einen erneut heimzusuchen.

Warum haben Sie mit dem Boxen begonnen?

Ein anderer Freund von mir, der ebenfalls Boxer ist, gab mir eines Tages Boxunterricht. Das war zunächst spielerisch, aber ich musste feststellen, dass es mir wirklich Spaß bereitet. Ich begann also mit Privatunterricht bei einem Boxer in Los Angeles, und je härter ich daran gearbeitet habe, umso interessanter wurde es für mich. Es stellte sich heraus, dass der Sport wesentlich komplizierter ist, als ich zunächst dachte.

Wie intensiv betreiben Sie denn diesen Sport?

Ich habe zweimal pro Woche Boxunterricht, da treffe ich mich mit ein paar anderen Leuten zum Sparring. Der Trainer wählt zwei Leute aus, die er gemeinsam in den Ring schickt, und dann weist er sie auf die Fehler hin, die sie begehen. Das läuft also alles ganz praktisch ab.

Was ist denn Ihre Gewichtsklasse?

Ich wiege ungefähr 125 Pfund (56,7 kg), das macht mich, soweit ich weiß, zu einem Federgewicht. Und das ist auch meine Lieblingsklasse. Ich mag die extrem leichten Kämpfer, weil sie so schnell sind. Das sind auch die Kämpfe, die ich mir am liebsten ansehe.

Sehen Sie sich Boxkämpfe hin und wieder auch mal live?

Nein, das habe ich bisher noch nicht gemacht. Im Mai gibt es ein paar Kämpfe in Los Angeles, die interessant klingen, und ich hoffe, dass ich einen besuchen kann. Wenn nicht, dann kann ich immer noch mit meinem Mann nach Las Vegas fahren.

Und da setzten Sie sich in die erste Reihe? Dorthin, wo Blut, Schweiß und Speichel drohen?

Oh Gott (lacht). Ich glaube, dass bei den großen Kämpfen die Tickets für die erste Reihe wirklich teuer sind: Da muss ich mich erst einmal schlau machen, ob ich mir das überhaupt leisten kann. Ansonsten habe ich nicht gegen die erste Reihe einzuwenden. Ich werde mir ein Handtuch mitnehmen (lacht).

Was genau reizt Sie eigentlich am Boxen? Die archaische Kampfsituation, Mann gegen Mann?

Es ist wirklich sehr altmodisch, und das gefällt mir. Immer wenn ich an das Boxen denke, denke ich auch an diese alten Schwarzweißfilme aus den 30er-Jahren. Als Zuschauersport hat mich das Boxen zunächst nicht interessiert. Ich habe nur deshalb begonnen, mir Kämpfe anzusehen, weil ich etwas daraus lernen wollte.

Und man kann tatsächlich etwas aus der Beobachtung lernen: Je mehr man über den Sport erfährt, desto interessanter werden die Kämpfe. Plötzlich geht es nicht mehr nur darum, dass zwei Typen aufeinander einschlagen – du beginnst, Formen, Strategien und Techniken zu beobachten.

Gibt es einen bestimmten Boxstil oder einen bestimmten Boxer, den Sie bewundern?

Ich mag Boxer, die eine gute Technik haben, die einen Kampf mit Intelligenz und guter Strategie gewinnen. Ich muss allerdings zugeben, dass es auch Spaß macht, die Jungs zu beobachten, die einfach nur wie verrückte Straßenkämpfer voll in einen Kampf reingehen.

Ist das Boxen eine gute Vorbereitung auf das Leben?

Ja, ich empfinde das so. Es gibt so ein paar spezielle Dinge, die hilfreich sind. Besonders nützlich ist die Feststellung, dass gewisse Dinge, die dir Angst bereiten, in der Erwartung immer schlimmer erscheinen, als sie schließlich tatsächlich sind. Es ist gar nicht so schlimm, einen Schlag einzustecken. Es ist immer schwerer, mit dem Schlag umzugehen, der dir noch bevorsteht. Du musst einfach nur deine Ängste in diesem Bereich unter Kontrolle bekommen.

Und das finde ich auch im richtigen Leben sehr nützlich: Es bringt nichts, sich aus Angst vor irgendwelchen Dingen verrückt zu machen.

Was haben Sie noch gelernt?

Mein größter Fehler beim Boxen ist, dass ich manchmal zu aggressiv werde. Ich steige voll ein und laufe dabei gleichzeitig in Schläge rein. Ich konzentriere mich auf meinen Angriff, und erst später wird mir klar, dass ich dabei unnötig viele Schläge einstecken musste.

Sehen Sie auch darin Parallelen zu Ihrem Berufsleben? Sie mussten ja in der Vergangenheit so manchen Kampf gegen Plattenfirmen durchstehen, bevor Sie sich mit einem eigenen Label selbstständig gemacht haben. Wünschen Sie sich manchmal, dass Sie zur Vorbereitung auf diese Konflikte schon früher mit dem Boxsport begonnen hätten?

Ja, da gibt es eine Verbindung, die ich zum wirklichen Leben ziehe. Ich wünschte, dass ich etwas von meiner Einstellung beim Boxen bereits früher in meinem Leben gezeigt hätte – dass ich versucht hätte, einigen Problemen aus dem Weg zu gehen, statt sie frontal in Angriff zu nehmen und dabei unnötig viele Schläge einzustecken.

Sehen Sie auch Parallelen zwischen dem Boxen und dem Songwriting? Geht es da vielleicht auch um Disziplin, Inspiration, Durchhaltevermögen – oder gar Grazie?

Nun, ich habe kürzlich einen Artikel über Miles Davis gelesen, der ebenfalls viel geboxt hat. Er hat offenbar gesagt, dass die Musik wie das Boxen sei, da man ständig etwas hinzufügt.

Dem kann ich nur zustimmen.Denn wenn du etwa einen neuen Akkord lernst, dann fügst du ihn gewissermaßen deinem Repertoire hinzu, und lässt ihn möglicherweise in deinem nächsten Song einfließen. Beim Boxen entspricht das etwa einer bestimmten Bewegung oder Kombination, die du lernst und in deinen Stil einfließen lässt.

Glauben Sie, dass Sie selbst eine gute Boxerin sind?

Mein Trainer sagt, dass ich wirklich gut in Form bin. Und ein anderer Trainer sagte, dass ich eine wundervolle Führhand habe. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Ich habe eine ziemlich starke Rechte. Aber das hängt natürlich alles von der Erfahrung deines Gegners ab, und ich habe mit Sicherheit noch sehr viel zu lernen.

Sind Sie denn gar nicht um ihre Unversehrtheit besorgt?

Jeder muss Schläge einstecken, wenn er boxt. Ich habe bereits ein blaues Auge davongetragen, und meine Nase hat auch bereits viele Schläge abbekommen. Schmerz macht mir nicht so viel aus, aber ich will natürlich keine schwere Verletzung davontragen. Deswegen denke ich gerade darüber nach, mir einen neuen und sichereren Kopfschutz anzuschaffen.

Die Leute mit den ich Sparring betreibe, sind allerdings auch gut genug, um etwas Kraft aus ihren Schlägen herauszunehmen. Wir wollen alle nur trainieren und etwas lernen.

Sie haben also doch Sorge, dass Ihre Nase einen Kratzer abbekommen könnte?

Mit zunehmenden Alter sehe ich das alles etwas gelassener (lacht). Mir ist klar, dass sich mein Gesicht ohnehin mit der Zeit verändern wird, und deshalb bereitet mir das nicht mehr soviel Gedanken.

Schönheit ist ja eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg im Popgeschäft, oder?

Natürlich ist es nett, wenn ein Künstler gut aussieht. Aber für mich ist es immer noch die wichtigste Aufgabe eines Sängers, gut zu singen. Ich finde es daher ziemlich merkwürdig, wie viele Künstler es gibt, die in erster Linie gut aussehen, deren Stimmen aber im Studio kräftig überarbeitet wurden. In den USA geht es den großen Plattenfirmen nur noch darum, wie die Künstler aussehen. Das ist ein wenig deprimierend.

Boxen gilt als ein besonders männlicher Sport. War das kein Hindernis für Sie?

Im Gegenteil: Ich glaube, dass ich mich auch deshalb zum Boxen hingezogen fühlte, weil mir als Kind sehr viele Sportarten wie Surfen oder Tauchen mit dem Hinweis untersagt wurden, dass ich ein Mädchen sei. Das habe ich nie so ganz verstanden. Deshalb bin ich wirklich froh darüber, dass sich die Zeiten inzwischen geändert haben.

Natürlich gibt es immer noch viele Leute, die davon überzeugt sind, dass Frauen nicht boxen sollten. Aber Boxen ist längst kein Sport mehr, der nur noch den Männern vorbehalten wäre – man denke nur an Hilary Swank in dem Clint-Eastwood-Film „Million Dollar Baby“.

Wie hat sie Ihnen in dem Film eigentlich gefallen?

Großartig, sie war richtig gut! Mein Trainer hat sie sogar getroffen, und ich habe ihn ständig gelöchert: „Sag schon, bin ich so gut wie Hilary?“