Außen pfui, innen hui

Über weite Strecken ärgerlich: Michael Schindhelms Roman „Die Herausforderung“

Als ob die Sprache, wie die Haut des Menschen, eine Innen- und eine Außenseite hätte, teilt sich Michael Schindhelms Roman „Die Herausforderung“ in innere und äußere Sprachräume. Die inneren gehören zu der Wahrnehmung des Helden Sebastian Müller, seinen Gedanken und Erinnerungen, der Geschichte seiner komplizierten und gefährdeten Liebe zu seiner Frau Christine und dem langsamen Aufbau einer Beziehung zu seinem Stiefsohn Aziz. Reich und kostbar versucht Schindhelm diesen Raum auszustatten, mit tiefen Reflexionen und poetischen Sprachbildern, die ihr Gesuchtsein nicht verbergen können. Der äußere Raum dagegen ist arm und verflacht: Er besteht aus den Oberflächen von Politik, Karrieren, Institutionen und Medien. Ihn versucht das Buch über große Strecken in Dialogen abzubilden, ein Mitschnitt der banalen Wirklichkeit. Die Inkongruenz zwischen innerem und äußerem Geschehen auszubalancieren, ist für die Hauptfigur am Ende zu viel: Das könnte die Herausforderung sein, die dem Buch den Titel gab.

Sebastian Müller steht im Wahlkampf. Er ist der Spitzenkandidat der SPD für die Position des Ministerpräsidenten in Sachsen. Schindhelm hat ihm eine interessante Vergangenheit geschenkt, als Ethnologe am Goethe-Institut Kairo, und eine schillernde Zukunft als Filmprojektemacher in einem Londoner Loft. Das sind die Milieus, in denen der Intellektuelle zu Hause und ganz bei sich ist. In der Gegenwart des Romans aber spielt er die Rolle eines Mannes, der Strategie und Kalkül über besseres Wissen, Intuition und das Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit stellen muss: Die Anpassung an die Rolle eines Politikers wird erzählt als ein Weg in den wachsenden Selbstverlust und die Aushöhlung der eigenen Realität.

Dieses Nebeneinander der beiden Tonlagen zwischen innerer und äußerer Welt berührt ein wenig peinlich. Schließlich hat das Buch ein Mann geschrieben, der zurzeit als Intendant am Theater in Basel für die Förderung innovativer Theaterformen gelobt wird und nach Berlin demnächst als Generaldirektor der Opernstiftung verpflichtet ist. Seinen guten Ruf macht gerade aus, sowohl als Intellektueller wie als Kulturmanager glaubhaft zu sein und die Inhalte der Kultur mit ihrer Repräsentation ohne große Reibungsverlust zusammenbringen zu können.

Sein Buch aber liefert vor allem den Verächtern von Parteien, Politik, Fernsehsendern und dem globalen Parkett der Goethe-Institute reichlich Stoff. Müllers Tage zwischen Wahlkampfauftritten, Strategiebesprechungen und Kompetenzgerangel hat Schindhelm in vielen Dialogen zu dramatisieren versucht, aber das ist danebengegangen. Die Gespräche lesen sich nicht nur ermüdend, sondern haben auch handwerkliche Mängel. Man weiß oft schlicht nicht, wer spricht, weil der Autor, wohl um nicht ständig „sagte Sebastian“ oder „antwortete Schweiker“ zu schreiben, die Ansage der Sprecherrollen weglässt. Zudem kokettiert er mit dem authentischen Ton, den halbausgesprochenen Unterstellungen und angedeuteten Vorwürfen. Aber wer hat schon Lust, sich dazu den Rest der Hirnwindungen dieser sächsischen SPD-Politiker auszumalen? Sie bleiben blasse Charaktere aus Papier.

All das ist ärgerlich. Nicht zuletzt, weil es die durchaus guten Anlagen des Buches verschüttet. Zu dem interessanten Potenzial des Romans etwa gehört die Geschichte von Sebastian und seinem Stiefsohn Aziz, der bei ihm in Dresden lebt und zur Schule geht und von einem ägyptischen Vater stammt. Die Nähe der beiden wächst, je mehr sie von den Schwächen des anderen sehen und in den Schwierigkeiten, damit umzugehen, einen Spiegel der eigenen Probleme entdecken. Sie werden schließlich zu Verbündeten, weil sie ein Fehlverhalten unter Druck entschuldbar finden und nicht wie der Rest der Welt zum Maßstab ihrer Vertrauenswürdigkeit machen. Ein schöner Erzählstrang, würden ihn stilistisch nicht wieder zu viele Experimente und Manierismen belasten.

Überhaupt ist der Roman zu unausgeglichen erzählt, nicht wie aus einem Guss. Man muss beim Lesen eben doch oft daran denken, jetzt das Produkt eines Autors in der Hand zu halten, der nebenbei auch noch schreibt. Irgendwie wäre es ja frustrierend, wenn ein guter Intendant und zukünftiger Generaldirektor auch noch gute Bücher schriebe. Soll er sich doch lieber auf seine Hauptaufgaben konzentrieren und ein bisschen drunter leiden, nicht alle seine Begabungen ausleben zu können.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Michael Schindhelm: „Die Herausforderung“. DVA, München 2005, 316 Seiten, 19,90 Euro