Angst vor den Polizeipatrouillen

In der usbekischen Grenzstadt Karasu zeigen die Menschen auch nach dem Einmarsch der Regierungstruppen Widerstand. In Andischan forschen viele nach der Niederschlagung des Aufstands nach dem Verbleib von Angehörigen

AUS KARASU UND ANDISCHAN MARCUS BENSMANN

Nach dem Einmarsch der Regierungstruppen nach Karasu demonstrieren wieder einige hundert Menschen in der usbekischen Grenzstadt zu Kirgisien und fordern die Freilassung der inhaftierten Anführer des Aufstandes. In den Straßen der zumeist aus einstöckigen Häusern bestehenden Stadt im Ferganatal patrouillieren Polizei und Soldaten des usbekischen Innenministeriums. Die Bewohner von Karasu stehen ängstlich in Gruppen zusammen und machen aus ihrer Feindseligkeit gegenüber der usbekischen Regierung kein Hehl: „Wir sind keine Islamisten“, tuschelt ein älterer Usbeke, „wir wollen nur, dass die Grenze wieder geöffnet ist.“

Die strittige Grenzbrücke zu Kirgisien bewachen seit Donnerstag wieder usbekische Grenztruppen und Soldaten. In Karasu hatten sich einige hundert Menschen erhoben, um vor allem die vor acht Jahren zerstörte kleine Brücke über den Grenzfluss wieder herzustellen und freien Zugang in die Zwillingsstadt auf der kirgisischen Seite zu erzwingen. Die usbekische Staatsmacht hatte diesen Grenzübergang 1998 sperren lassen, angeblich um die Infiltration von Terroristen aus Kirgistan zu unterbinden.

Mit der Brückenzerstörung, sagt der ältere Usbeke, seien die Menschen von ihren Müttern und Kindern getrennt worden und man habe den meisten Einwohnern in der ärmlichen usbekischen Grenzstadt den Lebensunterhalt geraubt.

Ein schnelles Ende nahm am Donnerstag auch die obskure Gruppe um den Usbeken Bakcier Rachimow, der sich zuvor als Anführer des Aufstandes in Karasu bezeichnete. Rachimow hatte am Mittwoch noch auf der Brücke den anwesenden Journalisten ein vollmundiges Interview gegeben: „Ab jetzt werden wir die Ordnung nach den Gesetzen des Korans aufrechterhalten“, sagte er und fuchtelte dabei wild mit einer Lederpeitsche um sich.

Nach diesem Interview hatte sich Rachimow in seinem Landsitz zur Nachtruhe gelegt und wurde da ohne Gegenwehr zusammen mit seinem 14-jährigen Sohn verhaftet, genau wie 15 seiner Mitstreiter. Rachimow hatte unweit des Stadtkerns von Karasu eine Viehzucht und eine Schuhfabrik und hatte sich über die Jahre einen gewissen Wohlstand und Achtung unter den Einwohnern des Grenzstädtchens erworben. Als dessen Schwester Juldus hört, was ihr Bruder in die Fernsehkameras gesagt hatte, schlägt sie vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen. „Mein Bruder ist nicht der Chef einer Islamistengruppe.“ Nach dem Aufstand habe die Gruppe, die sich seit langem zum gemeinsamen Sport getroffen habe, lediglich die Ordnung in Karasu aufrechterhalten wollen. Rachimow sei zwar ein religiöser Mann, erklärt die Schwester, doch „vor den Kameras sind ihm wohl die Pferde durchgegangen“.

Die Bewohner von Karasu bestätigen, dass es bei ihrem Aufbegehren nur um die Wiederherstellung der Brücke gegangen sei. Rachimow habe mit seinem Organisationstalent eben die Geschicke der Stadt geleitet. Eine junge Frau fordert mutig in Hörweite der Polizisten die sofortige Freilassung Rachimows: „Wir sind die ständige Gängelung der usbekischen Behörden Leid“, sagt die junge Frau tapfer. Wenn man nichts mehr zu verlieren habe, dann verschwinde auch irgendwann die Angst.

Angst vor Verhaftung und Trauer über die Toten regieren jedoch das westlich von Karasu gelegene Andischan, wo am letzten Freitag die Truppen des Innenministeriums den Aufstand blutig niederkartätscht haben. Nach wie vor sind die Opferzahlen unklar. Man muss aber wohl von einer hohen dreistelligen Todeszahl ausgehen.

Vor dem Gitter des Polizeipräsidiums versammeln sich am Freitagmorgen ungefähr hundert Männer und Frauen, um nach dem Verbleib der Angehörigen zu fahnden. „Wo ist mein Sohn?“, klagt eine ältere Frau im Schleier. Sie hat schon vergebens in den Leichenhallen und Krankenhäusern Andischans nach dem 23-Jährigen gesucht, der einer Woche nicht mehr nach Hause gekommen ist. Ein älterer Mann will wissen, was mit seinem Sohn geschehen sei, der die Nacht zuvor verhaftet wurde. Ein usbekischer Polizeibeamter bestätigt, dass jede Nacht bei Razzien Andischaner Bürger aufgegriffen werden.