: Merkels Freund
Edmund Stoiber wird sich nach einem CDU-Sieg in NRW nicht mehr gegen die Kandidatur seiner Konkurrentin wehren. Sondern ihr Helfer werden
VON LUKAS WALLRAFF
Haben Sie gesehen, wie er sie ganz lieb angelächelt hat? Wie er sich offenkundig sehr gefreut hat, dass sie zu ihm kam? Wie die beiden dann vertraut getuschelt haben! Und das vor allen Leuten! Er habe es ja selber lange nicht geglaubt, dass die jemals so zweisam werden könnten, sagt der CDU-Mann und betont, dass er normalerweise nicht zum Schwärmen neige. Aber jetzt, nach diesem Rendezvous im Bundestag, am Rande der Debatte über die EU-Verfassung, sei er sich sicher: Edmund Stoiber und Angela Merkel haben sich gefunden. Aus Rivalen wurden Partner, die sich mögen. Das neue Dreamteam der Union. Ein absolut unschlagbares Duo für 2006.
Nicht alle in der CDU sind dermaßen überschwänglich optimistisch. Aber das Gefühl des sicheren Sieges in Nordrhein-Westfalen am Sonntag führt auch bei gewöhnlich eher nüchternen Strategen zu kühnen Gedankenspielen, vor allem im Merkel-Lager. Stoiber soll jetzt so bald wie möglich „eingebunden“ werden. Und zwar in den langen Kampf um die Macht in Berlin, um Merkels Kanzlerschaft. Nicht nur beim öffentlichen Plausch im Bundestag, auch bei einem längeren Gespräch hinter den Kulissen seien sich die beiden „wirklich näher gekommen“, heißt es.
Der CSU-Chef gilt im Konrad-Adenauer-Haus nicht mehr als Merkels Gegner, sondern als Verbündeter gegen die CDU-Ehrgeizlinge Christian Wulff und Roland Koch. Die Hoffnung scheint berechtigt: Anders als die jüngeren Ministerpräsidenten aus Hannover und Wiesbaden hat der 63-jährige Bayer inzwischen eingesehen, dass er selbst nicht mehr Kanzler werden kann. „So realistisch ist er natürlich“, sagen seine Leute, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Wenn dem so ist, könne es für Stoiber nur noch darum gehen, „das Beste für sich herausholen, was er noch herausholen kann“, sagen Merkels Leute – nämlich einen attraktiven Ministerposten in Berlin 2006 „und vielleicht danach das Bundespräsidentenamt“. All das könne ihm Merkel anbieten. All das könne er aber nur erreichen, wenn er Merkel unterstützt. Stoiber habe nach der Wahl in NRW „die Gelegenheit, die unumstrittene Nummer zwei in der Union zu werden“, heißt es in der CDU leicht gönnerhaft.
Mit Wohlgefallen nahm man in Berlin die Signale wahr, die aus München bereits ausgesendet wurden. „Gewinnt die CDU am nächsten Sonntag Nordrhein-Westfalen, dann gibt das ohne Zweifel der gesamten Union und Frau Merkel zusätzliche Schubkraft“, erkannte Stoiber neidlos an. Und sein Generalsekretär Markus Söder ließ wissen, die K-Frage müsse nicht erst, wie bisher geplant, im Herbst geklärt werden: „Das kann auch früher passieren.“ Nur Romantiker schließen daraus, dass Stoiber Merkel plötzlich liebt oder dass er eingesehen hat, dass sie die Bessere ist. Aber viele erwarten, „dass Stoiber sich an die Spitze der Bewegung für Merkel setzen wird“. Bevor er nicht mehr anders kann, weil zu viele CDU-Kollegen drängen, werde Stoiber Merkel lieber selbst als Kandidatin ausrufen. Zum Dank, heißt es, werde ihm Merkel nicht nur die freie Auswahl seines Ministeramtes lassen, sondern auch ein Vorrecht gegenüber den CDU-Ministerpräsidenten gewähren, wenn es um die Ausarbeitung des Wahlprogramms geht.
Hier beginnt der wahrhaft träumerische Teil der optimistischen Unions-Szenarien. Aus dem heillosen Durcheinander zwischen CDU und CSU, etwa im Streit über die Gesundheitskonzepte vor einem Jahr, soll jetzt ein fruchtbares Miteinander werden. Merkels Leuten schwebt eine Strategie für die nächste Bundestagswahl vor, die an das Erfolgsrezept der SPD von 1998 anknüpft. So wie Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine damals unter dem Logo „Innovation und Gerechtigkeit“ die zwei Flügel der Sozialdemokratie repräsentierten, könnten es auch Merkel und Stoiber machen, heißt es. Natürlich würde man das anders nennen. Aber „eine mögliche Arbeitsteilung“ wäre, wenn Merkel „für weitere Reformen“ und Stoiber „für das Soziale“ stünde.
Läuft alles optimal, wollen CDU und CSU also die Erfolge der SPD kopieren, aber ihre Fehler tunlichst vermeiden. „Rhetorik und Taten dürfen auf keinen Fall so weit auseinander klaffen wie momentan in der Kapitalismuskritik von Müntefering“, sagt ein CDU-Führungsmitglied. Man könne „jedenfalls nicht so tun, als wolle man das ganze Land umkrempeln, aber nur unkonkrete Konzepte präsentieren“.
Im Zweifelsfall, ist aus Merkels Umgebung herauszuhören, werde man sich dann lieber für eine weiche Linie entscheiden: „Die Leute sind verängstigt genug.“ Das Gesundheitskonzept mit den abschreckenden Kopfpauschalen wolle man am liebsten lassen, wo es ist: in der Schublade. Das wird auch Stoiber recht sein.