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Archiv-Artikel

„Qualm ist eine Metapher“

Die aktuelle Debatte um Rauchverbote verhandelt nur vordergründig Fragen der Gesundheit. Im Kern geht es dem öffentlichen Diskurs um Werte, meint der Kulturwissenschaftler Claus-Marco Dieterich

INTERVIEW CLEMENS NIEDENTHAL

taz: Herr Dieterich, hat Renate Künast eigentlich Angst um die Raucher? Oder hat sie Angst vor den Rauchern?

Claus-Marco Dieterich: Frau Künast hat Angst vor den Rauchern. Aber das war schon immer die Linie der Gesundheitsministerien. Zumal seit diese Debatte einer klaren Kosten-Nutzen-Rechnung unterstellt wurde: Rauchen schadet der Volksgesundheit, Krankheit wiederum verursacht Kosten, diese Kosten aber betreffen die ganze Gesellschaft, betreffen uns alle.

Rauchen schadet der Volksgesundheit. Also schaden folglich Raucher auch dem Volk, der Bevölkerung?

Genau so funktioniert die Rezeption dieses Konflikts. Es sind nicht Substanzen, die uns vermeintlich schädigen, sondern Subjekte. Kein Konzern hat irgendwo, irgendetwas hineingemischt, kein Frostschutzmittel im Wein und keine Schwermetalle im Salat. Der Raucher gibt sich klar als Täter zu erkennen. Es sind Leute, die rauchen – und diese Leute stehen mir gegenüber. Das macht die Brisanz der ganzen Sache aus. Im Gegensatz etwa zu radioaktiver Strahlung wird das schädigende Gift, als konkreter Inhaltsstoff und noch mehr als Metapher, im Zigarettenqualm sichtbar.

Und dieser Zigarettenqualm unterliegt nun zeittypischen Diskursen?

Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, dass der Rauch vor zwanzig Jahren einfach noch nicht so gestunken hat. Eben weil man sich im gesellschaftlichen Diskurs noch nicht sicher war, dass das Rauchen schädlich ist. Gerade das vermeintlich Objektive, die Geruchsbelästigung etwa, ist also auch eine gesellschaftliche Konstruktion.

In Ihrem Buch haben Sie gezeigt, wie sehr die Konflikte zwischen Rauchern und Nichtrauchern immer auch Stellvertreter für andere, größere Konfliktlinien sind.

Unsere Gesellschaft verortet sich in Relation zu spezifischen Werten, ich nenne an dieser Stelle einmal den Genuss, die Gesundheit, die Sicherheit und die Freiheit. Diese Werte werden in bestimmten historischen Etappen immer wieder neu ausgehandelt. Auch momentan gibt der Raucher/Nichtraucher-Konflikt hierzu eine wunderbare Folie ab. Man fordert auf allen Ebenen etwa mehr Sicherheit ein und ist dafür auch bereit, Einschnitte in die persönliche Freiheit hinzunehmen.

Freiheit birgt eben Risiken, wir aber wollen gewissermaßen ein Leben mit permanentem Airbag?

Der Anspruch, bedrohende Risiken vom eigenen Leben fernzuhalten, ist sicherlich gewachsen, egal ob sich das nun im Seitenaufprallschutz oder in Light-Zigaretten manifestiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Automobilität: Die Zahl der Verkehrstoten war in Zeiten ihrer statistischen Erhebung noch nie so niedrig wie heute und gleichzeitig sind spezifische Sicherheitsfeatures für die Autoindustrie momentan das beste Werbeargument.

Bei so viel Sorge um die eigene innere Sicherheit liegt die Schlussfolgerung nahe: Rauchen taugt bald wieder zur wirklich rebellischen, subversiven Geste.

Wenn ich mir etwas das Kino anschaue, glaube ich nicht, dass es jemals anders war. Es gibt so viele Filme, in denen die rituelle Geste des Rauchens zelebriert wird. In „The Fifth Element“ steht ein Bruce Willis inmitten einer futuristischen, reglementierten Welt und raucht seine Zigarette mit dem überlieferten Zeichenrepertoire eines Italo-Westerns. Filmemacher handeln sich ja ohnehin gerne den Vorwurf ein, in Zeiten nach dem Werbeverbot die neuen Clips für die Tabakindustrie zu produzieren.

Wer kann es sich den, abgesehen von Bruce Willis und Helmut Schmidt, noch erlauben, öffentlich zu rauchen?

Sicher immer weniger Menschen. Nehmen wir nur die Permanenz des Kürzels „NR“ in Wohnungs- oder Partneranzeigen. Man kommt offensichtlich nicht mehr aus, ohne in dieser Hinsicht seinen Status frühestmöglich zu klären.

Das erinnert an die Dialektik des Ost-West-Konflikts, es gibt nur uns und die anderen.

Jeder kann sich eindeutig zuordnen: Raucher oder Nichtraucher. Das Feld dazwischen bestellt allenfalls der labile Begriff der Toleranz, die sich aus dieser Debatte allerdings weitreichend verabschiedet hat. So gesehen ist es ein Luxus, dass ich in meinem Buch keine Partei bezogen habe.