Ansichten von Amerika

Joel Sternfelds Fotoband-Klassiker „American Prospects“ ist neu aufgelegt worden

Vom Format her ist der Bildband ein klassisches Coffee table book: Man braucht Platz, um ihn aufzuschlagen, und man braucht Zeit, die Fotografien zu studieren. Und dann sieht man: Dieser Bildband ist alles andere als nur ein schönes, prächtiges Coffee table book. Sondern ein Klassiker.

„American Prospects“ von Joel Sternfeld, 1987 zum ersten Mal veröffentlicht, hat Maßstäbe gesetzt. Jetzt hat Steidl den Band wieder aufgelegt, im Format vergrößert und um sechs Fotografien erweitert, und es ist erstaunlich zu sehen, wie unverbraucht Sternfelds Ansichten von Amerika erscheinen: So radikal neu, als seien sie erst gestern aufgenommen worden.

Acht Jahre lang, von 1978 bis 1986, war der 1944 in New Yorker geborene Fotograf in seinem VW-Bus durch die Vereinigten Staaten gereist, mit einer schweren Großbildkamera, die er mit Farbfilm bestückt hatte. Damals, als Farbe noch ins Gebiet der Werbung und der Amateure fiel, war das einigermaßen revolutionär. Doch er hatte dafür seinen Grund: Erklärtermaßen stellte er seine Fotografien in Bezug zur Tradition der Landschaftsmalerei. Und so wahrte er Distanz zu seinen Motiven, hielt mit großer Tiefenschärfe und in nuancierter Farbe weite Panoramen von großer landschaftlicher Schönheit wie großem menschlichem Missgeschick fest.

Das menschliche Missgeschick mochte sich dabei in Neubausiedlungen, Freizeitparadiesen und dem gewöhnlichen Provinzleben zeigen, in Überschwemmungen, Bränden oder merkwürdig surrealen Unfällen wie dem eines auf der Straße zusammengebrochenen Elefanten. Immer aber durchkreuzte es dabei die Versuchung der romantischen Verklärung, die Joel Sternfelds Bilder stets in sich tragen und die sie so riskant machen, so reizvoll: nicht nur sehens-, sondern studierenswert. Wie die simple Umzugsszene in einer neuen Siedlung, wo am Horizont der erhabene, schneebedeckte Gipfel eines mächtigen Berges mehr zu ahnen als zu sehen ist und im Vordergrund die Mutter, die im Chaos der ausgeladenen Möbel ihr Kind säugt.

BRIGITTE WERNEBURG

„Joel Sternfeld: American Prospects“. Mit Texten von Kerry Brougher, Andy Grundberg und Anne W. Tucker. Steidl Verlag, Göttingen 2005, 140 S., 75 €