Die fetten Jahre sind vorbei

Joschka Fischer kämpft seinen letzten Kampf – gegen die schwarze Republik. Nach der Wahl werden neue Leute neue strategische Optionen entwerfen

VON LUKAS WALLRAFF

Und es gab doch etwas zu feiern, am Tag nach der verheerenden Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen. Claudia Roth hat gestern einen Blumenstrauß von ihrem grünen Chefkollegen Reinhard Bütikofer bekommen. Zum 50. Geburtstag. Lange freuen konnte sie sich nicht. Die Blumen wurden vor der Parteiratssitzung schnell weggeräumt und Bütikofer erklärte streng, jetzt müsse gearbeitet werden. Auch Roth, die sonst gerne überschwänglich fröhliche Herzdame der Grünen, sah dann ernst, ja traurig aus. Kein Wunder: Es könnte ihr letzter Geburtstag als Grünen-Chefin gewesen sein.

Noch will kaum jemand offen darüber reden. Aber allen Grünen ist klar: Geht die vorgezogene Bundestagswahl verloren, steht die Partei vor einem totalen Neuanfang. Vor einem internen Richtungs- und Führungskampf, der alle jetzigen Spitzenleute bedroht, weil es dann nicht mehr viele attraktive Posten zu verteilen gäbe. Eine Ära ginge zu Ende. Die Ära der grünen Gründergeneration. Für die 50- bis 60-Jährigen, die in der 68er-Zeit politisch aktiv wurden, die aus der Friedens- und Umweltbewegung ein realpolitisches Projekt gemacht haben, hieße es Abschied nehmen. Abschied von der Macht. Scheiden die Grünen im Herbst aus der Regierung aus, stellen sie keinen einzigen Landes- oder Bundesminister mehr. Auch Joschka Fischer, die Leitfigur der grünen Aufsteiger, wäre gescheitert. Er könnte höchstens wieder, falls er dazu überhaupt Lust hätte, Fraktionschef werden. Sicher ist nicht einmal das. Für die Grünen geht es ums nackte Überleben. Der eigene, überraschende Absturz in NRW auf knapp über 6 Prozent hat die Partei mehr geschockt als die erwartbare Niederlage für Rot-Grün. Und die Vermutung liegt nahe, dass die grünen Verluste etwas mit der Visa-Affäre des Außenministers zu tun haben. Fischers Glanz nach außen und damit auch seine Autorität nach innen – perdu. Was er nach einer Niederlage tun würde, ließ er gestern offen.

Fischer konzentriert sich, was bleibt ihm anderes übrig, auf seinen letzten großen Kampf. „Wir wollen ein erneuertes Mandat für Rot-Grün“, sagt der Außenminister nach der Parteiratssitzung, in der sie ihn noch einmal einstimmig zum Spitzenkandidaten für die Wahl gekürt haben – nicht so wie früher aus tiefem Glauben an seine Strahlkraft bis weit ins bürgerliche Lager hinein, sondern weil sie außer Fischer weit und breit keinen anderen haben, der dafür jetzt in Frage käme.

Fischer sagt, es gehe um eine Richtungsentscheidung, „in der Sache und in den Personen“. Es gehe um die Frage: „Wer soll das Land regieren?“ Für Fischer gibt es nur zwei Alternativen: Wir oder die – Schwarz-Gelb oder Rot-Grün. Die Union müsse jetzt Farbe bekennen, etwa „auf dem Gesundheitssektor“. Fischers letzte Hoffnung liegt in der Angst vor Schwarz-Gelb: Wenn die Leute endlich begreifen, was ihnen unter einer Kanzlerin Angela Merkel blüht, nämlich unsoziale Kopfpauschalen, hat er vielleicht noch eine Chance. „Die Zeit des Versteckspielens ist zu Ende“, sagt Fischer und meint die CDU.

Bei den Grünen aber beginnt sie jetzt erst richtig, die Zeit des Versteckspielens. Natürlich sammeln sich alle dieses eine Mal noch hinter Fischer. Natürlich warnen auch Bütikofer und viele andere vor der „schwarzen Republik“, die es zu verhindern gelte. Natürlich betont auch Bütikofer, er halte Rot-Grün „nach wie vor für die beste Koalition“. Aber Leute wie Bütikofer und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt versuchen sich bereits für die Zeit danach zu positionieren. Sie denken gar nicht daran, so wie Fischer, ihr Schicksal mit Rot-Grün zu verknüpfen. „Rot-Grün war für mich nie ein Projekt“, sagte Göring-Eckardt schon vor zwei Jahren und fragte: „Geht es nur so, oder gibt es auch andere Möglichkeiten?“

Nach einer Wahlniederlage wären die Grünen eine Oppositionspartei, die ihre gesamte Strategie überdenken kann – und muss. Die nächste Landtagswahl im Frühjahr 2006 ist in Baden-Württemberg, dem Stammland der Schwarz-Grün-Liebäugler. Aber auch die verbliebenen Parteilinken melden sich bereits zu Wort. „Es kann nicht so weitergehen, dass wir ständig die Unternehmen entlasten und die großen Erbschaften von der Steuer befreien“, sagte Fraktionsvize Christian Ströbele der taz.

Zwischen den Extremen, also dem „Back to the roots“, für das Ströbele steht, und der „schwarz-grünen Option“, für die Göring-Eckardt steht, wird es noch viele Kämpfe geben. Der gemeinsame Nenner, auf den sich fast alle jetzt schon einigen, ist die Absetzbewegung von der SPD. Für „Rot-Grün“, wie es ist, kämpfen nur noch Fischer und sein Ministerkollege Jürgen Trittin.

„2002 war ein rot-grüner Wahlkampf. Das gilt jetzt nicht mehr“, sagte selbst Fischers alter Kumpel Daniel Cohn-Bendit der taz. „Die Grünen müssen sich positionieren für die nächsten fünf Jahre. Nicht nur für die Wahl im Herbst. Die wird Fischer machen.“ Man kann das wohl nur so verstehen: Danach kommen andere. Die scheidende NRW-Ministerin Bärbel Höhn jedenfalls hat aus dem erfolglosen Rot-Grün-Wahlkampf an Rhein und Ruhr ihre Lehren gezogen: „Jeder muss sich auf sich konzentrieren.“