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Archiv-Artikel

Im Krankenhaus wartet schon die Polizei

Aus Angst vor Entdeckung gehen Illegale oft nicht zum Arzt. Ungefährliche Krankheiten können so lebensbedrohlich werden. Die Angst ist durchaus berechtigt: Wer in der Notaufnahme verpfiffen wird, den holt die Polizei ab

Mehr als 1.000 PatientInnen betreut das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe jedes Jahr in Berlin und vermittelt sie an kooperierende Ärzte und Krankenhäuser weiter. Dabei stoßen die rund 100 Helfer immer wieder an ihre Grenzen. Aus Angst vor Entdeckung versuchen viele Illegale, den Arztbesuch möglichst lange herauszuzögern. So können Erkrankungen lebensbedrohlich werden, die in einem früheren Stadium eigentlich leicht zu behandeln gewesen wären.

„Ein Mann mit einem chronischen Magengeschwür kam von sich aus ins Büro und wurde von uns an einen Internisten vermittelt“, erzählt Shirin Simo, die ehrenamtlich für die Flüchtlingshilfe arbeitet. Zwei Tage später erlitt der Mann einen Zusammenbruch auf der Straße und musste mit akuten Blutungen im Magen-Darm-Trakt ins Krankenhaus gebracht werden. „Im Anfangsstadium wäre das alles leicht zu behandeln gewesen.“

Ganz besonders kritisch sei der Umgang mit Notfallpatienten. „Wir haben in Berlin ein Krankenhaus, dass von uns vermittelte Notfälle aufnimmt“, sagt Simo. In der Regel aber nur einen am Tag. Den Namen des Krankenhauses verrät sie nicht.

Nach Ansicht Simos bestehen bei der Notfallversorgung von illegalen Migranten grundsätzlich zwei Probleme: Oft würde den PatientInnen die optimale Therapie versagt, da niemand für die Kosten der notwendigen Diagnostik und Therapie aufkommen will. Hinzu kommt die Gefahr, dass die PatientInnen der Ausländerbehörde gemeldet werden. Staatliche Krankenhäuser sind dazu verpflichtet.

Simo schildert den Fall einer Nigerianerin, die sich in der Notaufnahme der Charité mit Schwindel und Kopfschmerzen gemeldet hatte. Angestellte informierten daraufhin die Polizei. Später berichtete die Frau, die Polizei habe sie auf die Wache gebracht. „Als sie protestierte und nach einer medizinischen Behandlung verlangte, wurde ihr der linke Arm auf den Rücken gedreht, bis sie eine Schlag spürte und den Arm nicht mehr bewegen konnte“, sagt Simo. Die Beamten hatten ihr den Oberarm gebrochen. Der Bruch wurde im Krankenhaus behandelt. Aus Angst vor der Polizei ist die Frau noch während der Behandlung aus dem Krankenhaus geflohen.

Aber nicht nur bei medizinischen Notfällen stehen die Flüchtlinge oft vor großen Problemen. So kann schwangeren Migrantinnen nach der Geburt die Trennung von ihrem Kind drohen. „Falls die Frauen in einem Krankenhaus entbinden und ihre Anonymität aufgeben, besteht grundsätzlich die Möglichkeit auf Duldung – sechs Wochen vor bis acht Wochen nach der Geburt“, sagt Simo. Wenn sich die Frau gegen diese temporäre Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus entscheidet, erhält das Kind keine Geburtsurkunde.

Ohne gültige Ausweispapiere der Mutter keine Urkunde fürs Kind – diese Regelung gibt es ausschließlich in Berlin. „Sollte die Mutter nach der Geburt abgeschoben werden, kann sie ohne Geburtsurkunde des Kindes ihre Mutterschaft nicht nachweisen. In diesem Fall wird ihr das Kind weggenommen“, sagt Simo.

Der tatsächliche Zeitrahmen der Mutterschutzfrist liegt im Ermessen der Ausländerbehörden. Manchmal hätten sich die Behörden auch drei bis fünf Wochen vor dem Geburtstermin noch nicht erklärt, ob die Schutzfrist auch gelte. „Für die Frauen ist diese Situation nicht zumutbar“, sagt Simo. PHILIPP DUDEK