: Die Grenzen des Glaubens
DISKRIMINIERUNG Falsche Konfession: Das Hamburger Arbeitsgericht verhandelt die Entlassung einer Mitarbeiterin aus einer kirchlichen Einrichtung. Nun geht der Fall vor den Europäischen Gerichtshof
Das Hamburger Arbeitsgericht macht gern von der Möglichkeit Gebrauch, knifflige Aspekte dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorzulegen.
■ Altersdiskriminierung: So lässt Arbeitsrichter Peter Stein überprüfen, ob die „innerstaatliche Regelung“ der zwangsweise Pensionierung mit 65. Lebensjahren nicht gegen EU-Recht verstößt und einer Altersdiskriminierung gleichkommt.
■ Klagefristen: Landesarbeitsrichter Christian Lesmeister lässt prüfen, ob die Frist nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), gegen Verstöße gegen das AGG binnen zwei Monaten klagen zu müssen, nicht zu kurz ist. Nach EU-Recht gelten bei gleichwertigen Ansprüchen eine dreijährige Klagefrist.
VON KAI VON APPEN
Christoph Duvigneau versteht die Welt nicht mehr und könnte glatt den Glauben verlieren: „Der Europäische Gerichtshof kann doch nicht in das Verfassungsrecht eines Landes eingreifen und deutsche Gerichte anweisen“, entrüstet sich der grauhaarige Seniorchef der Anwaltskanzlei „Duvigneau und Scholz“ – spezialisiert auf Vertretungen von Kirchen im Arbeitsrecht. Doch genau darum geht es an diesem Mittwoch im Saal 112 des Hamburger Arbeitsgericht. Verstößt der Rausschmiss der 24-jährigen Christina Hansen* bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf aus Konfessionsgründen gegen europäisches Recht? „Eine äußerst spannende Frage“, sagt Arbeitsrichterin Susanne Loßmann und legt nun den Komplex dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) in Luxemburg zur Prüfung vor.
Christine Hansen hatte im Herbst vorigen Jahres einen Job in der Stiftung Alsterdorf in Hamburg angenommen – einer kirchliche Einrichtung, in der geistig und körperlich behinderte Menschen leben. Die gelernte Heilerzieherin sollte laut einem Rahmenvertrag nach Bedarf als Aushilfe eingesetzt werden und den betreuten Menschen, wie Hansen sagt, „Hilfe zur Selbsthilfe geben“ – ein Job, der ihr auch Spaß machte.
Im Dezember flatterte ihr dann ein Personalbogen ins Haus, den sie wahrheitsgemäß ausfüllte. Bei der Frage nach der Konfession trug sie „Neuapostolische Kirche“ ein – was dazu führte, dass die Personalabteilung sie aufgeforderte, aus dieser „Sekte auszutreten“. Andernfalls könne sie in der evangelischen Einrichtung nicht weiterbeschäftigt werden. Wenig später war sie dann ihren Job los. Ihr Vertrag war angeblich nur tageweise befristet.
Eigentlich ging es in dem Arbeitsgerichtsverfahren daher um zwei brisante Punkte: Sind nicht Rahmenverträge rechtswidrig, die eine tägliche Befristung enthalten, um den Kündigungsschutz zu umschiffen? Das bejahte Arbeitsrichterin Loßmann, wenn nicht an jedem Arbeitstag die Befristung deutlich zum Ausdruck gebracht werde.
Doch der Kernpunkt ist die Frage: War der Job von Christine Hansen nicht eine „verkündungsferne Tätigkeit“, wie es im Kirchendeutsch heißt? Also eine Tätigkeit, in der die Konfession überhaupt keine Rolle spielt, anders als bei verkündungsnahen Aufgaben von Pastoren oder Gemeindepädagogen?
Anwalt Christoph Duvigneau ist das egal. Er verweist auf ein umstrittenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1985, die den Kirchen bei Personalentscheidungen wegen Glaubensfreiheit viel Spielraum einräumt. Das Bundesverfassungsgericht hatte damals entschieden, dass auch für technisches Personal wie Handwerker, Hausmeister und Küchenhilfen die Religionszugehörigkeit für einen Job bei der Kirche vorausgesetzt werden darf – und damit eine konträre Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichtes gekippt. „Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon falsche Entscheidungen getroffen“, kontert Hansens Fachanwalt für Arbeitsrecht, Klaus Bertelsmann.
Kirchenanwalt Duvigneau beruft sich zudem auf eine Klausel im neuen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), die im Paragrafen neun den Paragrafen acht aushebelt und den Kirchen eine „zulässige unterschiedliche Behandlung“ wegen der Religion gestattet. Die Kirchenzugehörigkeit könnte demnach durchaus als eine „gerechtfertige Anforderung“ für einen Kirchenjob gesehen werden, sagt Duvigneau.
Der Gesetzgeber habe – wie auch in anderen Punkten – an dieser Stelle „im AGG absichtlich die EU-Richtlinie nicht erfüllt“, kritisiert Bertelsmann. „Das AGG ist an diesem Punkt rechtswidrig“, sagt er, der Rauswurf von Christina Hansen ein Verstoß gegen die EU-Anti-Diskriminierungs-Richtlinie. Bertelsmann verlangt mindestens fünf Monatsgehälter Entschädigung wegen Diskriminierung und die Vorlage des Komplexes beim EUGH.
„Die Frage ist nur, wem legt man den Fragenkatalog zuerst vor?“, scherzt Richterin Loßmann. „Dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof?“ Loßmann entscheidet sich für den EUGH. Eine Antwort aus Luxemburg wird im nächsten Jahr erwartet.
*Name geändert