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Archiv-Artikel

Das hochgereckte Kinn

Darf man PolitikerInnen nach ihrer Optik beurteilen? Ja, wenn die Person ihren Körper selbst in Szene gesetzt hat. So wie Joschka Fischer. Angela Merkel hingegen war den Medien immer ausgeliefert

VON BARBARA DRIBBUSCH

Manche Frauen, die Joschka Fischer immer zu angeberisch fanden, verspürten in diesen Tagen zum ersten Mal leise Sympathie für den aus der Form geratenen Außenminister. „Grüne setzen Joschka auf Diät“, lautete die Schlagzeile der Bild-Zeitung. Dazu war zu lesen, dass Fischer 20 Kilo abnehmen müsse, um im Wahlkampf eine gute Figur zu machen. 112 Kilo wiege er jetzt. So jemand kann natürlich nur noch schwer für eine Ökopartei werben, die das gesunde Leben auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Nach dem Körper beurteilt zu werden und diesen durch Diäten oder Sport zu optimieren – das kennen viele Frauen gut. Erst jetzt aber wird deutlich, dass Fischer immer eine traditionell als „weiblich“ betrachtete Selbstdarstellung betrieb, denn er setzte vor allem seinen Körper in Szene. Dazu passte seine jungenhafte Physiognomie, die ihn lange jünger wirken ließ, als er wirklich war. Der Suchtmensch Fischer schuftete sich mit Marathonlaufen auf ein hageres Erscheinungsbild herunter und prahlte, er hätte durch sein sportliches Vorbild mehr für die Gesundheit der Deutschen getan als jede Gesundheitsreform. Dann kam die Niederlage: Als Außenminister wurde Fischer dicker und dicker – wie jemand, der wohl sein Essverhalten, und wahrscheinlich auch den Stress seines Amtes, nicht im Griff hat. Alles Virile ist aus seinem Erscheinungsbild verschwunden, das Kinn im aufgeschwemmten Gesicht kaum noch zu finden.

Fischer, der Angela Merkel einst als „Panzernashorn“ bezeichnete, wirkt nun matronenhafter als die CDU-Spitzenkandidatin. Frauen, die von der Inszenierung des eigenen Körpers leben, kennen das: Irgendwann klappt es nicht mehr, sei es durch Gewichtszunahme, durch das Alter – oder einfach nur durch die Tatsache, dass die Leute einen allzu oft abgelichteten Menschen einfach nicht mehr sehen wollen und sich optische Abwechslung wünschen. Vor allem mit der Körperoberfläche Punkte zu sammeln, das machen eigentlich nur VerliererInnen.

Angela Merkel hingegen hat nie auf ihren Körper gesetzt, im Gegenteil. Eine Politikerin in mittleren Jahren weiß, dass sie der Bilderauswahl durch die Fotoredakteure in den Medien ohnehin schutzlos ausgeliefert ist. Man kann sie ungünstig präsentieren, leicht von oben abgelichtet, sodass die Wangen ein bisschen hängen und der Gesichtsausdruck depressiv wirkt. Man kann sie aber auch vorteilhafter zeigen, lächelnd, etwas von unten fotografiert, sodass das Kinn hochgereckt erscheint wie bei einer Siegerin. Im Moment verbreiten die Medien nur die souveränen Bilder von Merkel. Dem Grünen-Spitzenkandidaten hingegen bleibt nur die Diät – immerhin auch das öffentlich.