: Eine Rückkehr zu neuer Ruhe
GOLF Pünktlich zum Masters ist Tiger Woods wie verwandelt: Der einst weltbeste Golfer scheint gelassener als vor seinem Sex-Skandal – und ist plötzlich wieder Titelfavorit
VON THOMAS WINKLER
Das ist schon seltsam. Da gibt es diesen einen Golfspieler, der die letzten Jahre eher durch Skandale aufgefallen ist als durch gelungene Schläge. Der mehrfach wegen Erfolglosigkeit und Verunsicherung sein Spiel umstellen musste. Der engste Vertraute verprellte und anschließend von ihnen öffentlich in die Pfanne gehauen wurde. Der, glaubt man der Weltrangliste, nur der siebtbeste Golfer auf dem Planeten ist und seit vier Jahren kein Major-Turnier mehr gewonnen hat. Trotzdem geht Tiger Woods in das heute beginnende Masters in Augusta als großer Favorit.
36 Jahre ist Woods mittlerweile alt, vier Mal hat er das Masters, das wichtigste Turnier seines Sports, schon gewonnen. Während der Trainingsrunden auf dem traditionsgeschwängerten Platz in Georgia wurde Woods von solchen Menschenmengen beobachtet, wie sie gewöhnliche Golfer nicht einmal anziehen würden, wenn sie Freibier verteilen würden. Dabei machte Woods einen für ihn ungewohnt lockeren Eindruck. Die Wut und der Zorn, die ihn früher angetrieben haben, sind offensichtlich verflogen. Nachdem sein Leben so fundamental in Unordnung geraten war, scheint Woods neuerdings eine nie gekannte Ruhe und Gelassenheit gefunden zu haben. Und Ruhe ist bekanntlich ein Zustand, der der Fähigkeit, einen Golfball genau dorthin zu befördern, wo man ihn haben will, eher zuträglich ist. Kurz: Tiger Woods vermittelt den Eindruck, dass ihn niemand abhalten könne, sich am Sonntag zum fünften Mal das hässliche grüne Jackett umhängen zu lassen, das in Augusta traditionell dem Sieger zusteht.
Der ehrfürchtig lauschenden Journalistenschar erzählte Woods, sein Spiel sei nicht nur wieder so gut und so stabil, sondern, weil er nun mehr Schläge im Repertoire habe, sogar noch besser als im Jahr 2000. Damals spielte Woods nichts weniger als die beste Saison seiner unglaublichen Karriere. Er gewann zwar nicht das Masters, aber dafür die restlichen drei Majors.
Es war die Zeit, in der Golf dank Woods zu einer Sportart aufstieg, die nicht nur in den USA die Massen begeisterte, sondern zusehends auch im Rest der Welt ein Publikum fand. Der überragende Woods wurde zum Michael Jordan seines Sports und führte den Golfsport in neue Dimensionen der Vermarktung. Doch mit der Krise von Woods, die spätestens im November 2009 begann, als seine Ehekrise und Sexsucht öffentlich wurden, ließ auch das Interesse am Golf nach.
Doch nun scheint Woods die Kehrtwende geschafft zu haben. Noch im November 2011 wurde er auf Platz 58 der Weltrangliste notiert. Im Dezember gewann er nach 107 sieglosen Wochen endlich wieder, allerdings ein von ihm selbst organisiertes Einladungsturnier mit nur 17 Konkurrenten. Doch direkt im Vorfeld des Masters gelang ihm in Bay Hill sein erster Erfolg auf der PGA-Tour seit September 2009. Experten trauen ihm nun wieder zu, den Rekord von 18 Major-Siegen, den Jack Nicklaus hält, doch noch zu brechen. 14 Erfolge bei den vier jährlichen Majors hat Woods bislang auf seinem Konto.
Mit den neuen Erfolgen ihres alternden Stars kehrt auch das Interesse am Golf zurück: Der Sieg von Woods in Bay Hill fuhr in den USA dieselben Spitzenfernsehquoten ein wie 2009, als Woods dort zum letzten Mal gewann. Tatsächlich wollten sogar mehr Menschen die triumphale Rückkehr des gefallenen Helden sehen als die parallel laufenden Spiele in der entscheidenden Phase der College-Basketballmeisterschaft, die traditionell die amerikanischen Sportfans im März beherrscht.
Mit fünf Schlägen Vorsprung gewann Woods in Bay Hill. Aus dieser Dominanz zieht er nun erstmals seit Jahren wieder jenes überbordende Selbstbewusstsein, das ihn in seinen erfolgreichsten Zeiten ausgezeichnet hat. „Ich habe immer mal wieder zwei gute Runden hingelegt, vielleicht auch mal drei“, sagte er nach dem Training am Dienstag, „nun waren es erstmals vier.“
Vier gute Runden, die braucht man vor allem in Augusta auf einem Platz, der zwar relativ kurz ist, aber trotzdem als einer der schwersten gilt – und Woods besondern gut liegt. Selbst in den letzten beiden Jahren, als er mit der komplexen Umstellung seines Golfschwungs beschäftigt war und an anderer Stelle bisweilen nicht einmal mehr den Cut schaffte, wurde er trotzdem zwei Mal Vierter.
Nun aber scheint „der Prozess“, wie Woods das unablässliche Arbeiten an seinem Schwung beschreibt, vielleicht nicht abgeschlossen, aber doch in einem seit Jahren nicht mehr gekannten stabilen Stadium angekommen. Nach eigener Aussage sind seine Abschläge so gerade und hart wie nie zuvor und auch das kurze Spiel ist so exakt wie lange nicht. Das sind schlechte Nachrichten für die Konkurrenz. Aber überaus gute Nachrichten für den Golfsport.