Beschützer, Ernährer, Erzieher

Eine Studie zu traditionellen und neuen Vätern: „Vatertheorien“

Engagiert, aufgeklärt, gespalten, abgelehnt oder gar seiner Autorität beraubt – nahezu unübersichtlich ist die Menge an Studien, die sich den Vätern widmen, entsprechend vielfältig sind auch die Attribute, die ihnen zugeordnet werden. Was hingegen alle Vatertheorien eint, ist der Bezug auf die Historie eines traditionellen Vaters. Doch gab es diesen Pater familias, diesen uneingeschränkten Herrscher über sein Haus, wie er der Antike zugeschrieben wird, wirklich? Nein, meint Barbara Drinck, Privatdozentin an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Berlin. In ihrer Habilitationsschrift zerpflückt sie den Mythos vom selbstherrlichen Alleinherrscher und entzieht somit der weit verbreiteten Ansicht von einer „Demontage“ der Väter ihre Grundlagen: Nur wer einmal mächtiges Familienoberhaupt, wer Beschützer, Ernährer und Erzieher in Personalunion war, dem kann eine solche Funktion auch entzogen werden.

Zunächst begibt sie sich dazu auf historische Spurensuche. Neben den Klassikern der Pädagogik liest sie vor allem pädagogische Handbücher des 18. und 19. Jahrhunderts neu. Dort zeigt sich, wie sich die bürgerliche Gesellschaft ihre Wurzeln vorstellt. Idealbilder der glücklichen Familie und starre Geschlechterrollen werden entworfen, die heute noch nachwirken. Immer wieder wird dabei verklärend der Pater familias herbeizitiert. Während die Autorität des antiken Hausvaters allerdings auf seiner Anwesenheit beruhte, wächst sie nun paradoxerweise sogar noch an, je weniger sich der moderne Vater bei den Kindern aufhält – bis hin zu der Steigerungsform, dass das Arbeitengehen und das Anhäufen von Reichtum zum Liebesdienst an den Kindern gedeutet wird. Allerdings gilt das nur für das Bürgertum, abwesenden Arbeitervätern wird ein rapider Autoritätsverlust attestiert.

Ein verwirrendes Bild liefern die pädagogischen Klassiker von Jean-Jacques Rousseau über Johann Heinrich Pestalozzi bis hin zu Friedrich Wilhelm August Fröbel, dem Begründer der frühkindlichen Pädagogik und Erfinder der Kindergärten. Sie alle eint der Glaube an die Ziele der Aufklärung und die Wirkung von Erziehung. Ob dem Vater allerdings neben der Mutter eine eigenständige Rolle zugeordnet wird, ob er nun besser autoritär oder verständnisvoll ist oder ob nicht viel besser Erziehung zur öffentlichen Aufgabe erklärt werden soll – daran scheiden sich die Geister.

Nächster historischer Einschnitt in der Diskussion der Vaterrolle ist für Drinck die antiautoritäre Revolte 1968 und ihre Fundierung durch Marxismus und Psychoanalyse. Wenn eine gesellschaftliche Umwälzung Erfolg haben soll, so muss sie auch an der psychischen Konstitution des Individuums ansetzen, so lautete nicht nur die Einschätzung der Frankfurter Schule. Angesichts der historischen Erfahrung der Schoah radikalisierten die kritischen Theoretiker ihre Vorstellung von der Bekämpfung autoritärer Strukturen. Eine Erziehung zur Mündigkeit war für sie nur als gesellschaftliche Aufgabe denkbar. Die Familien und insbesondere die Väter, die in den Nationalsozialismus verstrickt waren, gehörten entmachtet. Eine Forderung, die in der Studierendenbewegung auf offene Ohren traf: Der Kinderladen-Bewegung mit ihrer antiautoritären Pädagogik lag neben einer dezidiert feministischen und antipatriarchalen Ausrichtung genau jene Kritik an den Autoritäten, die sich selbst desavouiert hatten, zugrunde.

Ganz anders hingegen die These von der vaterlosen Gesellschaft Alexander Mitscherlichs. Er ging von der anthropologischen Konstante der Erziehungsbedürftigkeit aus und räumte dem Vater eine Schlüsselfunktion in der Entwicklung zur Selbstverantwortlichkeit ein: Vaterlosigkeit bedeutet den Verlust der Erfahrung, dem Vater eines Tages entwachsen zu können, so seine Kernaussage. Die Diskussion aktueller Ansätze – mit einem breiten Exkurs zum postmodernen Feminismus – wirkt indes disparat, vielleicht so disparat, wie die verschiedenen Ansätze selbst sind. In der in den Siebzigerjahren aufkommenden Männerbewegung lassen sich zum einen „maskulinistische“ Argumentationen finden, die sich an der Neuerfindung eines traditionellen Vaters üben – wenn er auch nicht als solcher benannt wird. Zum anderen ist die Männerbewegung aber auch Ausgangspunkt einer profeministischen Patriarchatskritik, die in die Forderung nach dem „neuen Vater“ mündet. Sensibel, emotional, aufgeklärt und engagiert soll er sein – hier schließt sich der Kreis zu den pädagogischen Klassikern, denn schon Christian Gotthilf Salzmann, ein Philanthrop der ersten Stunde, stellte zu Beginn des 18. Jahrhunderts ähnliche Forderungen auf. Spätestens an diesem Punkt zeigt sich, dass auch die modernen Vorstellungen von Vaterschaft in den Strukturen und den Denkweisen der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet sind, im 18. wie im 21. Jahrhundert. GOTTFRIED OY

Barbara Drinck: „Vatertheorien. Geschichte und Perspektiven“. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2005, 257 Seiten, 19,90 Euro