: Coole Illusionszerstäuber
Die Performance-Gruppe Forced Entertainment demontiert in „Bloody Mess“ auf Kampnagel beiläufig und scharfäugig die Unterhaltungsmaschinerie
von Marga Wolff
Ein Clown, der endlich mal eine ernste Geschichte erzählen möchte, eine Diva, deren hingebungsvoll gespielte Todessehnsucht nie eine echte Würdigung findet, ein Showgirl, dem jeder Moment recht ist, die blanken Brüste zu zeigen: Das schrille Personal der Performance-Gruppe Forced Entertainment, die jetzt auf Kampnagel gastierte, weiß genau, wonach der magische Augenblick im Theater verlangt – und verpasst ihn doch immer wieder. Zur Not wird die Nebelmaschine angeworfen, pustet, was der kleine mobile Apparat hergibt, hüllt das anarchische Chaos auf der Bühne in einen mystischen Schleier. „Am Ende bleibt nichts als Staub“, deklamiert der Clown mit rot verschmierter Schminke schließlich und klammert sich verzweifelt an die Hoffnung, dass sein Publikum dennoch lacht.
Von nichts Geringerem als von der Entstehung der Welt hatte er eingangs erzählt, von jenem Urknall, mit dem plötzlich alles begonnen haben soll, hatte zumindest probiert zu erzählen, solange die wahnwitzigen Inszenierungsversuche zweier tollpatschiger Techniker seiner Geschichte nicht in die Quere kamen. Nun ist er am Ende angelangt, ernüchtert angesichts all der verpatzten Gelegenheiten. Showbizz, großes Drama, das Pathos von Rock- und Popkultur: Nichts ist bei Forced Entertainment vor der scharfsinnigen Demontage sicher. Bis auf die Knochen haben die Protagonisten der englischen Performance-Gruppe um den Autor und Regisseur Tim Etchells alle Formate der Illusionsmaschinerien im Unterhaltungsgeschäft auseinander genommen – und mit einer gehörigen Portion schwarzen britischen Humors aufgemischt.
Forced Entertainment spielten eine Schlüsselrolle unter den Gruppen, die vor 20 Jahren in Europa begannen, den Blick auf das Theater neu zu formulieren und hat mit seinen entlarvenden Sichtweisen und innovativen Präsentationsformen schnell Kultstatus erreicht. Zum Auftakt der Themenreihe „Wieso Weshalb Warum – Theater und Wissenschaft“ gastierte die Gruppe mit ihrem Jubiläumsstück Bloody Mess auf Kampnagel. Eine Arbeit, die alle Register zieht und in der vordergründigen Unordnung scheinbar naiv, irgendwie beiläufig und dabei genau auf den Punkt vorführt, wie Gefühle gesteuert, Symbolik geschaffen, Sinn vermarktet wird und Illusionen verblassen. Dabei gehört der Abend weniger den „Stars“ als den beiden Technikern, die wundervoll nervtötend jeden Versuch eines ernst gemeinten Auftritts vermasseln.
Vorgestellt hatten sich die beiden als die romantischen Helden des Stücks, das im Mittelteil mit grotesker Ironie um die Einhaltung von fünf Schweigeminuten kämpft. Romantik und Nebel gehören schließlich zusammen wie Clowns und Tränen, wie Heavy Metal und heroische Posen. Ein vielschichtiges Showpanorama entwerfen die begnadeten Performer, spannen lustvoll und gewitzt ihren Theaterkosmos auf, als wäre es das echte Leben. Und umgekehrt.
Und genau darum soll es bei dem Themenschwerpunkt „Wieso Weshalb Warum“ auf Kampnagel auch gehen: um ein zeitgenössisches Theater, das Techniken von Analyse und Präsentation aus der Wissenschaft entlehnt, während die Wissenschaft zunehmend auf inszenatorische Präsentationsformen zurückgreift. Forced Entertainment haben diese Herangehensweise für das Theater vorgemacht, unter anderem mit Inszenierungen wie dem Marathon-Lexicon, einer achtstündigen Dauerperformance zum Alphabet der Performance-Kunst, mit der die Gruppe am Sonnabend zusätzlich eines ihrer ungewöhnlichen Formate auf Kampnagel vorstellte.
Wieso Weshalb Warum – Theater und Wissenschaft, Kampnagel; bis 11. 6.