: Der Besuch der alten Herren
In Hagen stehen drei alte Männer vor Gericht, die gemeinsam 14 Banken ausgeraubt haben – die „Opa-Bande“. Ihre Geschichte klingt recht lustig. Und ist dabei sehr traurig
VON JOHANNES GERNERT
Zuletzt haben sie versucht, ihn da rauszuhalten. Sie haben es mehrmals allein gemacht. Treppen ist er kaum noch hochgekommen. Die Bandscheiben. Die Knie. Einmal ist Rudolf R. sogar ausgerutscht und hingefallen. Nur mit Mühe haben sie ihn ins Auto gezerrt. Und dann die Prostata. Ständig mussten sie anhalten, damit er pinkeln konnte. Dabei waren sie doch in Eile, auf der Flucht, mit der Beute im Kofferraum. Beim letzten Mal kam der Krankenwagen, aus dem die Polizisten vom Sondereinsatzkommando sprangen. Da war es vorbei, bevor sie die Mendener Bank hätten stürmen können. Sie hatten sich schon vorher überlegt, freiwillig aufzuhören. „Man wird ja auch älter“, sagt Wilfried A.
Jetzt sitzen sie im Saal 201 des Landgerichts Hagen. Rudolf R. hinten, 74 Jahre alt, bleich, schwerhörig ein bisschen, mit einem Dialekt wie Werner Hansch, der Ruhrpottreporter. Wenn er aufsteht, stützt er sich auf den Tisch, die Beine wackeln. Vor ihm: Wilfried A., 73 Jahre alt. Das Kinn in die Luft gereckt, der Blick oft zur Decke, die grauweißen Haare akkurat nach hinten gekämmt. Daneben: Lothar A., der Jüngste: 64 Jahre, bullig, dicke Lippen. Einige Männer aus dem Publikum grüßen ihn, wenn sie vorn vorbeilaufen, nicken und murmeln „Schale“, das ist sein Spitzname. Manche sehen aus wie: Rotlichtmilieu in Rente.
Vor Wilfried A.'s Anwalt liegt ein Leitz-Ordner. Auf dem Rücken steht: „EK Opa“. So hieß die Ermittlungskommission. In den Zeitungen ist dieser Prozess der Opa-Prozess. Sie heißen „die Opa-Bande“. Man hat so ein bestimmtes Bild von dieser Geschichte. Drei alte Männer. Vierzehn Banken. Mehr als eine Million Euro Beute. Opas. Sie werden sich wohl im Altersheim kennen gelernt haben. Aus Langeweile sind sie auf die Idee gekommen. Noch besser: Sie hatten einen letzten Wunsch, den sie sie sich unbedingt erfüllen mussten. Eine Kreuzfahrt vielleicht. Nur das Geld hatten sie nicht. Es gibt einen Film, der handelt von drei befreundeten Omas, die eine Bank überfallen: „Jetzt oder nie“. Ein Till-Schweiger-Film. So ist diese Geschichte nicht.
Man kann zunächst einige Fakten hinzufügen. Eine Handgranate. Ein Maschinengewehr. Einen Vorschlaghammer. Eine Spaltaxt. Ein paar Pistolen. Und eines noch: Sie haben sich im Knast kennen gelernt, nicht im Altersheim.
„Wie sind Sie denn darauf gekommen, ihre Ermittlungskommission Opa zu nennen“, fragt der Vorsitzende Richter, Horst-Werner Herkenberg, den Leiter der Kommission, Kriminaloberkommissar Michael Kern. „Ich habe vorher mal in einer EK Oma mitgearbeitet“, antwortet der, „dann hieß die eben EK Opa.“
So ist diese Geschichte eher. Ernüchternd gewöhnlich. Eine Sache folgt beiläufig, zwangsläufig aus der anderen. Nach der EK Oma die EK Opa. Nach dem Überfall Knast und nach dem Knast wieder Überfall und wieder Knast. Und zwischendurch die EK Opa. Ein bisschen traurig fast schon.
Was macht einer, wenn er nach zehn Jahren aus dem Gefängnis kommt, ohne Rentenanspruch, er hat auch vorher schon in Haft gesessen, 40 Jahre insgesamt, was macht so einer, er ist über 60 und hat nichts gelernt, außer ein bisschen Bankräuber vielleicht? Arbeit gibt ihm keiner und schon gar keinen Gewerbeschein. Wilfried A. hat wieder angefangen mit dem Bankenüberfallen.
Warum, fragt der Richter. „Ich kann nur sagen, dass man im Knast nicht besser wird“, antwortet Wilfried A.. Der Strafvollzug versagt. Diesen Titel würde Heinz-Walter Lindemann, sein Anwalt, der Geschichte wohl geben. „Keine Frau, keine Kinder, keine Freunde“, sagt er. „Und dann stehst du da allein und musst sehen, dass du klar kommst.“
Man hat Wilfried A. während der Zeit hinter Gittern darauf nicht vorbereitet. Er hat die zehn Jahre für den Überfall auf die Sparkassenfiliale in Rietberg-Bokel voll abgesessen. Allein. Lothar A. hat er mit keinem Wort erwähnt. Er hatte gehofft, dass ihm sein Komplize einen Anwalt besorgt. Hat er nicht gemacht. Sie waren keine Freunde. Arbeitskollegen höchstens. Alternde Bankräuber mit wenig Alternativen. Nur Rudolf R. hatte das alles eigentlich gar nicht nötig, der hatte eine Autowerkstatt.
Rudolf R. kannte Wilfried A. noch aus der JVA Detmold. Über R. hatte er auch Lothar A. kennen gelernt. Im Mai 1999 kam Wilfried A. raus. Sechs Monate später, einen Tag vor Weihnachten, haben sie zusammen die Sparkasse von Hemer-Ihmert gestürmt. Es war Viertel vor sechs und draußen schon dunkel, wie bei den anderen Überfällen auch.
„Die Ausbaldowerung der Banken erfolgte durch Wilfried A. und Lothar A., genauso wie bei den Fluchtwegen“, sagt Michael Kern, der Oberkommissar. Einer kannte sich im Märkischen Kreis aus. Der andere in Ostwestfalen. Vorm Überfall haben sie Rudolf R. abgeholt, ins Auto gepackt, sind zur Bank gefahren und danach haben sie ihn wieder zu Hause abgesetzt. „Wie so ein Einsatz im Krieg, so hat er das geschildert“, erzählt Kern. Rudolf R., sagt Wilfried A., habe etwas „Soldatisches“ an sich gehabt, „unbedingte Kameraderie“. Er wollte immer die „Sturmspitze“ sein. Der Erste, der in den Schalterraum rennt.
Vor dem geplanten Überfall auf die Mendener Bank, es wäre die 15. geworden, hatte die Polizei sie schon eine Weile überwacht, mit Wanzen und GPS-Sendern. Der Hinweis kam aus dem Knast. Die Spur führte übers Iserlohner Rotlichtmilieu zu den Angeklagten. Sie haben sich nicht gewehrt bei der Festnahme. Wilfried A. und Rudolf R. haben noch vor dem Prozess gestanden. Michael Kern hatte den Eindruck, sie wollten einen Schlussstrich ziehen. Am zweiten Prozesstag gesteht auch Lothar A.
Manchmal hat Wilfried A. die anderen gedrängt, mehr Banken zu machen. Gegen Ende hin hat es sich nicht mehr so richtig gelohnt. 25.000 Euro beim letzten Überfall, 17.000 Euro davor. Gerade mal knapp 6.000 für jeden. Sie hatten sich auch schon mehr gebündelte Scheine in die Tüten von Lidl oder Aldi packen lassen. Einmal sogar 260.000 Euro. Mit dem Geld wollte Wilfried A. den Hof kaufen, auf dem er arbeitete. Er hat damit Maschinen angeschafft und Tiere. „95 Prozent sind in das Objekt geflossen“, sagt er. Seine Absicherung fürs Alter. Er habe Angst gehabt in einem Heim zu landen. Jetzt sitzt er im Knast.
Bei der Verhandlungseröffnung ist die Stimmung im Gerichtssaal noch heiter. Man ist amüsiert. „Der macht das wie ein Kaffeekränzchen“, sagt ein Zuschauer über den Richter. Es wird viel gelacht. So stellt man sich einen Prozess mit der „Opa-Bande“ vor.
Zwei Schüsse haben sich gelöst bei all diesen Banküberfällen. Versehentlich. Einer hätte fast Wilfried A. getroffen. Der andere ging in die Lenksäule des Fluchtautos. „Da hab' ich noch gedacht: Wir erschießen uns hier gegenseitig“, sagt A. Es klingt alles sehr nach Slapstick.
„Sie glauben gar nicht, Herr Vorsitzender Richter, wie einfach das ist, so eine Bank zu überfallen“, sagt Wilfried A.. Dessen Verhältnis zum englischen Maschinengewehr aus dem Zweiten Weltkrieg, das er wohl einem Kassierer in die Brust gerammt hat, beschreibt Rudolf R. folgendermaßen: „Der konnte ja gar nicht damit umgehen, der hatte das in der Hand und stand da wie ein Ochse vorm Berg.“ Wilfried A. erzählt, warum sie bei der Maskierung irgendwann die abgeschnittenen Herrenunterhosen gegen Wollmützen eingetauscht haben. Es habe lächerlich gewirkt. „Ich habe nie geschossen“, sagt er auch. „Ich habe sehr viel geschossen“, sagt Rudolf R. hinter ihm. „Ich hab als 15-Jähriger schon geschossen.“
Am zweiten Verhandlungstag bricht eine Angestellte weinend zusammen. Einer der drei hatte ihr auf den Kopf geschlagen, weil sie ihm nicht schnell genug reagierte. Am dritten Verhandlungstag wehrt sich eine Bankkauffrau mit brüchiger Stimme gegen die Tränen. Sie nimmt Medikamente wegen der Albträume. An dunklen Abenden hat sie es in der Zeit nach dem Überfall in der Bank oft nicht ausgehalten. „Sie brauchen keine Angst haben, es ist alles in Ordnung“, hat der Filialleiter zu ihr gesagt. Hinter ihm stand Wilfried A. mit der Gaspistole. „Der eine hatte ’ne Handgranate um den Hals und schrie: Ich sprenge euch alle in die Luft“, erzählt eine Kollegin. Es war nur ein Feuerzeug, eine Attrappe. Die echte haben sie sich erst später besorgt. Die Angst war immer echt.
Allerdings nicht für alle. „Wir haben uns sicher gefühlt“, sagt eine Bankkauffrau aus Bad Salzuflen. „Weder brutal noch sonst was“ sei es gewesen. Zwar habe einer „Beeil dich Mädel oder willste, dasste erschossen wirst“ gerufen. „Aber dieses ‚Mädel‘ klang für mich eher so kumpelhaft. Ich hatte das Gefühl: Das wird er nicht machen.“ Am ersten Prozesstag hat Wilfried A. sich an die Angestellte erinnert: „Ich muss Ihnen sagen, die Frau war standhaft.“
Einmal steht ein Zeuge vorn am Richtertisch und schaut sich Beweisfotos an. Neben ihm sitzt Wilfried A.. Der Bankkaufmann ist überrascht: „Sie waren das?“ Wilfried A. nickt verschmitzt. „Sie hätte ich nicht wiedererkannt,“ sagt der Zeuge. „Na, Gott sei Dank“, entgegnet A.. Wieder lachen alle. Dabei ist es eigentlich gar nicht so lustig für ihn.