: „Wir freuen uns aufs Regieren“
INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLER UND LUKAS WALLRAFF
taz: Herr Altmaier, Herr Lammert, muss sich die Republik eigentlich vor den Schwarzen fürchten?
Norbert Lammert: Offenkundig tut sie es nicht. Eine ausgeprägte Mehrheit der Wähler hat nicht Angst vor der Union, sondern das rot-grüne Experiment satt.
Peter Altmaier: Gerade die Neue Mitte, die sich von Rot-Grün im Stich gelassen fühlt, kommt ja mit ihren Stimmen zu uns. Das ist die Lehre aus der Wahl in Nordrhein-Westfalen.
Interessant, dass Sie immer noch über Rot-Grün sprechen wollen. Wir möchten lieber wissen: Was hat sich in der CDU seit Helmut Kohls Abgang geändert?
Altmaier: Die Union ist gesellschaftspolitisch im Hier und Jetzt angekommen. Wir sind wieder attraktiv für moderne großstädtische Milieus, sonst gäbe es zum Beispiel keinen Bürgermeister Ole von Beust in Hamburg.
… und Sie wollen die riskanteste aller Technologien, die Atomenergie, wieder salonfähig machen.
Altmaier: Der „Atomausstieg“ ist doch schon heute in erster Linie eine „Lebensversicherung“ für die AKW-Betreiber …
Lammert: … Wir wollen keine neuen Atomkraftwerke bauen, sondern vorhandenen Anlagen unter den weltweit strengsten Sicherheitsauflagen international übliche Nutzungszeiten ermöglichen.
Sie greifen nach der Mehrheit in beiden Häusern, in Bundesrat und Bundestag. Steht die schwarze Republik vor der Tür?
Altmaier: Was heißt denn hier „schwarze Republik“? Im CDU-Vorstand haben Türkischstämmige wie Emine Demirbüken Sitz und Stimme. Hier hat sich vieles positiv entwickelt. Und die LSU, die Lesben und Schwule in der Union, setzt sich mit Verve für die Belange gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein. Also keine Angst, das Rad dreht sich nicht zurück.
Glauben Sie etwa, dass CDUler wie Frau Demirbüken entzückt sind von der Idee, die bevorstehende Bundestagswahl zu einer Entscheidung über die Aufnahme der Türkei in die EU zu machen?
Lammert: Die Union teilt und artikuliert die Zweifel der Wähler, ob es zu einer Vollmitgliedschaft der Türkei kommen sollte. Aber keine Sorge: Wir werden uns selbstverständlich an die Vereinbarungen halten, die unsere Vorgänger zum Procedere getroffen haben. Nur führen wir Verhandlungen anders als die Regierung Schröder mit dem Ziel einer privilegierten Partnerschaft.
Die Botschaften der Union sind zweideutig. Edmund Stoiber sagt, die Türkei werde „niemals“ Mitglied der Europäischen Union. Angela Merkel sagt, auch sie werde mit der Türkei verhandeln.
Altmaier: Wir haben eine klare Beschlusslage, dass wir die Verhandlungen führen wollen – aber eben ergebnisoffen.
Neue politische Farben bringen neue Konzepte, klar. Aber es kommt auf den Stil an. Ihr Parteifreund Peter Hintze hat zu einem Plebiszit gegen den türkischen EU-Beitritt aufgerufen. Er macht den Leuten Angst.
Altmaier: Hintzes Zitat heißt korrekt: Die Bundestagswahl ist „auch“ ein Plebiszit. Das Hauptthema des Wahlkampfes wird ein anderes sein: Die Lösung der gravierenden Wirtschafts- und Strukturprobleme, die uns Rot-Grün hinterlässt. Und darum, endlich wieder die Schaffung von Arbeitsplätzen möglich zu machen.
Was ist das Leitmotiv Ihres Wahlkampfes? Gerade im rot-grünen Spektrum herrscht große Unsicherheit darüber, was Sie wirklich wollen.
Lammert: Wir sind darauf eingerichtet, dass wir nicht alle Wähler von Rot-Grün und nicht alle Leser der taz …
Altmaier: … zu denen ich mich im Übrigen zähle …
Lammert: … für die Union gewinnen werden.
Aber Herr Lammert, Sie wollen doch das ganze Land regieren, oder?
Lammert: Ja sicher. Nur streben wir keineswegs uniforme Verhältnisse an. Wir freuen uns darauf, als ordentliche neue Regierung mit einer dann hoffentlich guten Opposition in einen Wettbewerb um die besseren Konzepte zu treten.
Noch einmal: Was ist das Fundament Ihres Regierungsprogramms?
Lammert: Die Revitalisierung einer sozialen Marktwirtschaft, die beide Bestandteile dieses Konzepts als gleichermaßen unverzichtbar begreift: den Markt und die soziale Sicherung. Ich will gar nicht bestreiten, dass es bei uns auch gelegentlich Versuchungen gibt …
… einseitig auf den Wettbewerb zu setzen?
Lammert: Zum Beispiel. Aber es gehört beides zusammen. Dafür steht die CDU wie keine andere Partei.
Altmaier: Wir glauben nicht bedingungslos an den Staat. Die SPD tut das. Uns ist der aktive Mensch näher, der in Freiheit und Verantwortung handelt. Wir müssen die Menschen und die Gesellschaft so stark machen, dass sie sich in der globalisierten Welt behaupten können.
Was werden die ersten drei Maßnahmen einer Regierung Merkel sein?
Lammert: Wir brauchen erst mal eine Eröffnungsbilanz. Es macht ja keinen Sinn, sich auf irgendetwas festzulegen, ohne verlässlich den finanziellen Status quo zu kennen. Die Haushaltsansätze des Finanzministers sind seit Jahren extrem unseriös. Daher sollten wir den Präzisionsehrgeiz beim Ausarbeiten des Wahlprogramms nicht übertreiben.
Altmaier: Die Lebenslüge der Rot-Grünen bestand darin, dass sie den Bürgern nie ehrlich über den Zustand der Sozialsysteme Auskunft gegeben haben. Damit haben sie die Staatshaushalte ruiniert – und die wichtigste Tugend der politischen Kultur angegriffen, die Glaubwürdigkeit. Deswegen brauchen wir zunächst ein realistisches Budget für das Jahr 2006. Und dann müssen wir den Menschen ehrlich sagen, dass es weitere Einschnitte geben wird.
Geht’s, bitte schön, ein bisschen konkreter? Die Leute wollen doch zum Beispiel wissen, ob nun die Eigenheimzulage bleibt oder ob sie wegfällt.
Lammert: Wir sagen seit Monaten, dass dieses wie andere Instrumente helfen soll, eine wirkliche durchgreifende Steuerreform zu finanzieren. Also: Wenn wir im September Mehrheiten im Bundesrat und im Bundestag haben sollten, ist der Weg frei für eine konsistente Steuerpolitik. Dann steht die Vereinfachung des Steuersystems und, soweit finanzierbar, die Entlastung der Bürger an.
Was ist dran an den Gerüchten, dass die Union innerhalb eines Jahres ein Gesetzesfeuerwerk abbrennen wird?
Lammert: Selbst wenn Sie einen Durchsuchungsbefehl dabei hätten, bei uns werden Sie keine Feuerwerkskörper finden. Wir planen eine sehr seriöse Veranstaltung und keine bengalischen Illuminationen. Es kommt auf die ersten beiden Jahre an: Da müssen die wichtigsten Weichen gestellt werden. Es geht ja nicht darum, möglichst viel anzufassen, sondern möglichst viel richtig zu machen …
Oje, das „Vieles besser“-Motto kommt uns irgendwie bekannt vor …
Altmaier: … nur ist es bei uns inhaltlich gefüllt. Es ist ja kein Putsch geplant. Gerade Ihre Leser werden Verständnis haben, dass man das Programm für die nächste Bundestagswahl in einem demokratischen Verfahren erarbeitet – und es erst dann der Kritik der Öffentlichkeit aussetzt.
Einige Überschriften sind ja bereits bekannt: Sie wollen die Wirtschaft boomen lassen, die Haushalte sanieren und Arbeit schaffen. Ganz schön viel auf einmal.
Lammert: Die drei Aspekte stehen nun mal in einem unauflösbaren Zusammenhang. Abgekoppelte Einzelmaßnahmen wie Hartz I bis IV haben wir genug gesehen. Wie könnte man die Wettbewerbsfähigkeit herstellen – ohne die Staatsfinanzen zu sanieren? Wie soll der Arbeitsmarkt in Bewegung kommen, wenn nicht unter der Wiederherstellung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit?
Ist die deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig? Immerhin sind wir sind doch Exportweltmeister.
Lammert: Um konkurrenzfähig zu bleiben, platzieren immer mehr Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen im Ausland – ein starkes Indiz für Wettbewerbsprobleme.
Altmaier: Wir haben seit Jahren das schwächste Wirtschaftswachstum aller westlichen Industrieländer, kleiner noch als in Ländern, die eine reiche sozialpolitische Tradition haben wie Schweden. Das Ergebnis dieser Schwäche ist, dass die sozialen Verteilungskonflikte viel schärfer sind. In Deutschland gibt es weniger Bereitschaft zu Einschnitten.
Lammert: Nur zur Illustration: Wenn sich das Wirtschaftswachstum in den nächsten 15 Jahren genauso entwickelt wie in den letzten 15 Jahren, dann ist das britische Sozialprodukt 2020 höher als das deutsche.
Die Wachstumsraten waren also auch unter Kohl schon schwach.
Lammert: Richtig ist, die Wachstumsprobleme haben nicht erst 1998 begonnen.
Das bedeutet: Sie müssen zu Ende führen, was Rot-Grün beim Aufräumen des Kohl-Nachlasses nicht geschafft hat?
Altmaier: Rot-Grün hat doch die Probleme nicht behoben, sondern vergrößert. In den ersten vier Jahren sind überhaupt keine Strukturfragen beantwortet worden. In der zweiten Wahlperiode wurde zwar viel angekündigt – aber selbst in den Fraktionen fehlte der Rückhalt für Reformen.
Hat die Union denn wirklich den Mut dazu? Sie wollen doch sogar Hartz IV wieder zurückdrehen. Das klingt eher nach Lafontaine als nach durchgreifenden Reformen.
Lammert: Korrekturen an Hartz IV haben genau mit der sozialen Balance zu tun, von der wir vorhin sprachen. Zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme gehört nicht nur, ihre Finanzierbarkeit wiederzustellen. Sie müssen auch dem Anspruch der Gerechtigkeit genügen. Das ist offenkundig nicht der Fall, wenn Arbeitslose, die jahrzehntelang eingezahlt haben genauso behandelt werden wie Menschen, die nur kurz gearbeitet haben.
Genau das haben Lafontaine und andere von Anfang an kritisiert. Ihnen fällt das Problem auf, wenn Neuwahlen angekündigt werden.
Altmaier: Erkannte Fehler muss man korrigieren. Das stärkt das Vertrauen der Menschen in die Politik. Wissen Sie, die nächste Bundestagswahl wird der politischen Klasse im Land zum letzten Mal für längere Zeit die Chance geben, das Vertrauen der Menschen in unser politisches System zu rechtfertigen. Bei aller Enttäuschung über Rot-Grün hat es ja bisher keine Stärkung der extremen Parteien gegeben. Das ist kein Anzeichen von Angst, sondern Ausweis für das Zutrauen, dass CDU und CSU es möglicherweise besser können. Für uns heißt das: Wir tragen eine große Verantwortung.
Schröder hat 1998 gesagt, er werde sich an der Senkung der Arbeitslosenzahl messen lassen. Lässt sich die Union auch daran messen?
Lammert: Jede neue Regierung wird an der Entwicklung des Arbeitsmarktes gemessen, ob sie es will oder nicht.
Ist Angela Merkel stark genug, die Einschnitte, die Sie für notwendig halten, durchzusetzen?
Altmaier: Angela Merkel hat mit ihrer Rede im Oktober 2003 hier in Berlin und auf dem Leipziger Parteitag als erste führende Politikerin in Deutschland die Reformnotwendigkeiten beim Namen genannt hat. Das ist die innere Legitimation für ihre Kanzlerkandidatur, die wir nun beschlossen haben.
Lammert: Andere, die man für durchsetzungsstark hielt, hatten Scheu, an diese Veränderungen heranzugehen. Die Parteivorsitzende hat sie nicht nur angepackt, sondern auch durchgesetzt.
Ihr Mantra der letzten Jahre lautete stets: Rot-Grün kann’s nicht. Vom Gesundheitsstreit mit der CSU bis zum dilettantischen Auftritt Ihrer Leute im Visa-Untersuchungsausschuss ist in den letzten Monaten der Eindruck entstanden: Die Union kann’s auch nicht.
Lammert: Wenn Sie sich die Republik betrachten, ist eines nicht zu übersehen: In den Ländern, in denen die Union regiert, läuft es deutlich günstiger als in den Ländern, in denen sie nicht regiert. Alle unsere Ministerpräsidenten stehen hinter der Operation, die wir jetzt im Bund vorhaben. Das ist eine geballte Kraft, die dann zur Verfügung steht.