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Archiv-Artikel

Aus Nationalstolz nein! Aus Nationalstolz ja!

Niederlande: Sowohl Gegner als auch Befürworter der EU-Verfassung argumentieren mit der nationalen Identität

BERLIN taz ■ Die etablierten Parteien in Den Haag hoffen auf ein Paradox: Weil die Franzosen Nein gesagt haben, sollen die Niederländer morgen mit Ja votieren. Das sei eine Frage der Ehre, suggeriert die rechtsliberale Regierungspartei VVD: „Paris schreibt uns nicht das Gesetz des Handelns vor.“ Auch die oppositionellen Sozialdemokraten fordern, dass „die Franzosen nicht darüber entscheiden, wie wir abstimmen müssen“.

Diese Taktik des nationalen Stolzes könnte funktionieren: Es ist in den Niederlanden ein Dauerthema, dass man als „Mittelmacht“ von den großen EU-Ländern dominiert würde. Zudem sind nach jüngsten Umfragen nur noch 54 Prozent der Wähler gegen die Verfassung. Zwischendurch kamen die Neinsager auf 60 Prozent.

Dennoch sind die Verfassungsgegner euphorisch. Sie fühlen sich durch das Votum in Frankreich bestätigt. Dieser „historische Tag“ sei „der Anfang vom Ende des europäischen Superstaates“, jubelte der unabhängige Parlamentsabgeordnete Geert Wilders, der sich als ein Erbe Pim Fortuyns versteht. Genauso erfreut zeigten sich Sozialisten und Calvinisten, die die Verfassung ebenfalls ablehnen.

Letztlich dürfte die Wahlbeteiligung entscheiden. Beide Lager fürchten, dass ihre Anhänger glauben könnten, das niederländischen Referendum sei nach dem französischen Votum sowieso bedeutungslos. Die Verfassungsgegner setzen daher auf das Misstrauen gegen Europa, um zu mobilisieren: „Die Verfassung ist halb begraben, aber Brüssel ist schlau genug, sie wieder zum Leben zu erwecken“, mahnt Wilders. „Deswegen müssen auch die Niederländer massiv mit Nein stimmen.“

Die Regierung wiederum versucht es mit einer letzten Werbekampagne. Jedes Kabinettsmitglied muss bis morgen noch mindestens vier Auftritte absolvieren. Die Argumente sind eher taktisch. So warnen die regierenden Christdemokraten, dass ein Nein „die niederländische Position in Europa schwächen würde“. Süffisanter Nachsatz: „Dann wird es nicht einfacher, unsere Nettozahlungen an Brüssel zu senken.“

Viele Niederländer fühlen sich an 2002 erinnert – an den Überraschungssieg der Pim-Fortuyn-Liste. Eine ähnliche Revolte der Wähler scheint sich zu wiederholen, fürchtet Wouter Bos. Der Führer der Sozialdemokraten räumt selbstkritisch ein: „Bei der Europafrage haben sich die meisten Abgeordneten zu weit von den Wählern entfernt.“ULRIKE HERRMANN