berliner szenen: Nächstes Mal machst du das
Keine weiteren Fragen?“ Die Moderatorin der Lesung in der Synagoge will gerade die Diskussion beenden, als sich ein älterer Herr aus der letzten Reihe zu Wort meldet: „Ihr Vater hat sich aber erst sehr spät als einer von uns zu erkennen gegeben, oder?“ Die Schauspielerin, die zuvor souverän aus den Memoiren ihres Vaters über sein Überleben während der NS-Zeit gelesen hat, zögert: „Das ist eine sehr persönliche Frage …“
Sie ringt um Fassung. Und erzählt dann, dass sie selbst immer offen jüdisch gelebt und deswegen viele emotionale Diskussionen mit ihrem Vater gehabt habe: „In meinem Haus befand sich eine offen rechte Kneipe. Denen habe ich jeden Morgen und Abend fauliges Wasser vor die Tür gegossen.“ Eines Tages habe sie zudem eine Flagge mit Davidstern und dem Slogan „Nazis raus!“ an ihren Balkon gehängt. Bereits am ersten Abend habe es bei ihr Sturm geklingelt: „Es war mein Vater, der auf den Balkon stürzte und schrie: ‚Bist du des Wahnsinns? Nimm die Flagge ab! Wenn du so offen zeigst, dass du jüdisch bist, kannst du gleich Selbstmord begehen!‘“
Sie habe das anders gesehen: „Ich war immer dagegen, mich zu verstecken.“ Sie sei damals bei der Antifa gewesen, bereit, sich zur Not auch mit Neonazis zu prügeln. Einmal sei dies beinahe passiert: „Ich hatte beim Judo meinen Davidstern an. Da kam ein Glatzkopf und sagte:,Ich dachte, wir hätten euch alle vergast.'“ Als er zutreten wollte, habe ihr Trainer ihn k. o. geschlagen und zu ihr gesagt: „Das nächste Mal machst du das selbst.“
Durch ihre Haltung habe ihr Vater irgendwann seine Meinung geändert und seine Memoiren veröffentlicht: „Kurz darauf wurde seine Wohnung verwüstet.“ Einige Besucher*innen der Lesung nicken. Entweder sie kannten die Geschichte bereits. Oder sie hatten nichts anderes erwartet.
Eva-Lena Lörzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen