Im Kreuzfeuer geifernder Widersacher

Nachbarschaftsfehden, prügelnde Teenager, Konflikte um Geld und Ehre – wenn sich zwei in die Haare geraten, bewahrt Gabriele Berndt die Ruhe. Die Juristin arbeitet als Schiedsfrau in Köln. Sie schlichtet ehrenamtlich zwischen Streithähnen und entlastet damit Amtsgericht und Steuerzahler

VON CLAUDIA LEHNEN

Mit dem Zeigefinger gräbt sie eine kleine Kuhle in die Nasenspitze. Sie senkt für Sekunden den Blick. Dann lächelt sie. Manchmal braucht Gabriele Berndt diese Momente der Konzentration. Vor allem dann, wenn um sie der Sturm losbricht: hinunter geschluckte Beschuldigungen, Anklagen, Beleidigungen, die sich manchmal jahrelang stauten, um sich hier im gemütlichen kleinen Büro nahe der Kölner Oper Luft zu machen.

Gabriele Berndt ist Schiedsfrau im Kölner Bezirk Alt- und Neustadt Nord I. Berndts Aufgabe ist es „zu schlichten, nicht zu richten“, wie sie selbst sagt. Zivilrechtliche Streitigkeiten regelt die Juristin schnell und unbürokratisch, zum Beispiel Nachbarschaftsfehden oder Konflikte um nicht bezahlte Rechnungen. Aber auch Fälle von Hausfriedensbruch, übler Nachrede, Verleumdung, Beleidigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung landen auf dem großen Glasschreibtisch der 42-jährigen Kölnerin.

Berndts Tätigkeit ist ehrenamtlich. Ein bei ihr geschlichteter Streit kommt unter Umständen billiger als der Rachefeldzug gegen den verhassten Nachbarn. Höchstens 70 Euro kostet ein Verfahren beim Schiedsamt. „Hauptsächlich Material- und Kommunikationskosten“. Ein mittleres Amtsgericht wird dem Steuerzahler erspart, weil sich Berndt und ihre 800 Schiedsamtskollegen in NRW drei bis vier Mal im Monat Streithähnen widmen. Ein Protokoll, das beide Parteien am Ende eines Verfahrens unterschreiben, ist laut Berndt wie ein Vertrag, „der 30 Jahre lang vollstreckbar bleibt“.

Doch bevor aus dem Wirrwarr der gegenseitigen Vorwürfe und Rechtsansprüche eine vernünftige, gerechte Einigung geboren wird, sitzt Berndt erst einmal ein paar Stunden im Kreuzfeuer und hört zu, was sich die Gegner alles an den Kopf zu werfen haben. Alles sollen sie sich frei von der Seele sprechen können. „Bei einem Gerichtsverfahren ist diese Kommunikation oft nicht möglich“, sagt Berndt. Aus Zeitgründen. Aber auch weil die Verhandlungen vor dem Amtsgericht meist öffentlich sind und sich die Widersacher deshalb nicht trauten, offen zu reden. „Deshalb finden hier Schlichtungsgespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.“

Berndt sitzt da und wippt mit dem linken Fuß. Manchmal sei es schon eine Herausforderung, ruhig zu bleiben. Sie lächelt milde, aber in ihren Augen blitzt es. Zurückhaltung, Parteilosigkeit und Ruhe seien die Haupteigenschaften einer guten Schiedsfrau. „Das wäre ja schlimm, wenn ich emotional auch noch engagiert wäre“, sagt sie.

Das Büro der Schiedsfrau ist von einer Amtsstube ungefähr so weit entfernt wie eine Louis-Vitton-Handtasche von einem Jutesack. An der Wand trocknen himbeerfarbene Rosen ihre Köpfe hinter Glas, aus einer Ecke entsendet eine weiße Elefantenskulptur besänftigende Blicke, den Tisch schmückt ein bunter Blumenstrauß, neben der Eingangstüre erinnert ein Plakat an die Aufführung des „Sommernachtstraums“ an der Kölner Oper.

„Auch die Atmosphäre soll zur Streitschlichtung beitragen“, sagt Gabriele Berndt. In Wohnzimmerstimmung komme schließlich eine Kommunikation zwischen den Parteien leichter zu Stande als im eventuell einschüchternd wirkenden Gerichtssaal. „Die Leute müssen ja erst einmal miteinander reden und erkennen: Was will der andere überhaupt?“

Berndt, die hauptamtlich für die Rechtsabteilung eines Verlages arbeitet, schlichtet seit acht Jahren zwischen prügelnden Teenagern, genervten Nachbarn und sich in die Haare geratenen Geschäftsleuten, weil sie „für eine bessere Streitkultur“ eintreten möchte. Verfahrene, scheinbar ausweglose Zwistigkeiten finden oft schon deshalb ein versöhnliches Ende, weil ein parteiloser Dritter hinzutritt. Auch privat macht Berndt von dieser Erkenntnis Gebrauch: „Wenn ich selbst streite, erzähle ich oft einer guten Freundin von dem Vorfall und frage sie, wie sie darüber denkt, wie sie reagieren würde.“ Einer Schiedsrichterin eben, die den Vorfall von außen beobachtet. Aufwallende Emotion verpuffe durch den Perspektivenwechsel manchmal ganz schnell. Gabriele Berndt macht eine kleine Kuhle in die Nasenspitze und lächelt nachdenklich.