: Kameras statt Kontemplation im Kloster des Wortes
Im Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen am Niederrhein erhält Niels Brunse heute den Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW
Dort, wo heute der Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW verliehen wird, ist Deutschland fast vorbei. Bis ans Ende der Welt kann’s nicht mehr weit sein. Und vermutlich kann man es von Straelen am Niederrhein aus sogar sehen, denn die größte Erhebung und Lärmquelle in der Nähe des Europäischen Übersetzerkollegiums ist der Kirchturm von St. Peter und Paul. Aber an dessen Glockengeläut nehmen wohl nur die jährlich 700 „zugezogenen“ Übersetzer Anstoß, die sich nebenan in Kontemplation an ihrem Auftrag abarbeiten – Sachbuch, Kinderbuch, literarischer Klassiker.
Der Däne Niels Brunse, der selbst schon etwa fünfmal zu Gast in der bewohnbaren Bibliothek war, erhält in diesem Jahr den mit 25.000 Euro dotierten Preis. „Mit der Übersetzung von Buddenbrooks ist es Niels Brunse gelungen, mit feinfühliger Musikalität und großer sprachschöpferischer Phantasie die Polyphonie in Thomas Manns Meisterwerk ins Dänische zu überführen, ohne die philologische Genauigkeit preiszugeben“, heißt es in der Begründung der Jury.
Alle zwei Jahre also, immer zur Verleihung des Übersetzerpreises, rückt die Kleinstadt an der holländischen Grenze in den Mittelpunkt des Interesses, aus Düsseldorf reist der Kulturminister an, die Feuilletons berichten. Dann reist der Minister wieder ab, die Zeitungen wandern ins Altpapier und schon herrscht wieder weitestgehend Ruhe in Straelen am Niederrhein. Genau so schnell wie die Preisverleihung wieder vorbei ist und das öffentliche Interesse abebbt, überblättern die meisten Leser den Namen des Übersetzers vorne im Buch. Wenn er ihnen doch mal auffallen sollte, dann nur negativ. „Übersetzen ist wie Putzen. Man bemerkt es nur, wenn es schlecht oder gar nicht gemacht wird“, sagt Ljubomir Iliev aus Sofia, der in Straelen Musils „Mann ohne Eigenschaften“ ins Bulgarische überträgt. Geschäftsführerin Regina Peeters wundert sich immer wieder über die unterprivilegierte Stellung der Übersetzer im Literaturbetrieb, vor allem in Osteuropa: „Die werden meistens in Schafskäse bezahlt.“ Selbst ihre deutschen Kollegen kommen selten über ein Seitenhonorar von 15, 16 Euro hinaus.
Und trotzdem wird im Europäischen Übersetzerkollegium, dessen zweites Zentrum neben der 110.000 Bände umfassenden Bibliothek wie in jeder guten WG die Küche ist, in der die Kollegen manchmal nur essen, manchmal aber auch die deutsche Sprache sezieren, wenig gemeckert. Das liegt wohl daran, dass die Übersetzer sich die wenige Freizeit, die ihnen ihre Deadline lässt, nicht mit ihrem eigenen Gejammer verderben wollen. Da loben sie lieber unisono die „paradiesischen Arbeitsbedingungen“. Dirk Kredel übersetzt in Straelen gerade ein amerikanisches Kinderbuch ins Deutsche: „Ich schaffe hier dreimal so viel wie zu Hause.“ Immer wieder ertappe er sich dabei, „wie ich genervt bin, weil jemand anruft“. Und ihn herausreißt aus der mit Belletristik und Nachschlagewerken aus jedem Kulturkreis und zu annähernd jedem Themengebiet bestückten Bibliothek, die dank EU-Zuschüssen wächst und gedeiht. „Wenn es ein russisch-schwedisches Maschinenbau-Wörterbuch von 1974 gäbe – es würde hier stehen.“
Finanziert wird die weltweit erste und mit Abstand größte Einrichtung dieser Art, die jeden professionellen Übersetzer mit mindestens zwei Veröffentlichungen und dem Auftrag eines Verlags kostenlos aufnimmt, im Wesentlichen aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen, das die Betriebskosten trägt. Noch, denn mit dem Regierungswechsel in Düsseldorf fürchten die Straelener um ihre Existenzgrundlage. Der Jahresetat liegt laut Geschäftsführerin Peeters bei „deutlich unter 400.000 Euro“, was sie eine „Mangelverwaltung“ nennt, ein „sehr geschicktes Taktieren mit sehr geringen Mitteln“. „Unsere PCs zum Beispiel sind von Aldi und nicht von Dell. Dafür haben wir uns morgens in die Schlange gestellt.“ Träger der Einrichtung ist der gemeinnützige Verein „Europäisches Übersetzerkollegium Nordrhein-Westfalen in Straelen e. V.“, 1978 unter der Schirmherrschaft von Schriftstellern wie Heinrich Böll gegründet.
Böll hielt 1985 auch die Rede zur Eröffnung des neuen 2.500-Quadratmeter-Hauses: „Ich möchte darauf hinweisen, daß große Dinge nicht immer in großen Städten geschehen und nicht immer mit irrsinnigem Tamtam und Popp und Hopp, das schnell zerplatzt.“ Der Bulgare Ljubomir Iliev rechnet für seine Musil-Übersetzung mit einer Arbeitszeit von drei Jahren. Sie wird ihn weder reich machen noch berühmt, aber glücklich. „Zu Hause halten mich alle für verrückt. Hier sind alle so wie ich.“ DAVID DENK