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Archiv-Artikel

„Friedenspädagogik reicht nicht“

SICHERES LEBEN Der Grüne Hans-Christian Ströbele über Gewalt in Politik und Alltag, deutsche Waffenexporte und einen neuen Imperialismus

Hans-Christian Ströbele

■ sitzt als Grünen-Urgestein seit Mitte der 1980er Jahre mit Unterbrechung im Bundestag. Der Parteilinke gilt als vehementer Gegner von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

INTERVIEW PETER BETHKE

taz: Lassen Sie uns über Frieden und Sicherheit sprechen, zwei Voraussetzungen für ein gutes Leben.

Hans-Christian Ströbele: Gutes Leben ohne Frieden und Sicherheit oder gar gutes Leben im Krieg ist in der Tat kaum vorstellbar.

Fühlen Sie sich momentan sicher?

Sicher fühle ich mich auf der friedlichen Wiese hier am Scharmützelsee weit weg vom Krieg in Afghanistan, von Kriegen gegen den Terrorismus und die Drogen und trotz persönlicher Bedrohungen.

Wird in ausreichendem Maß Friedenspädagogik betrieben, wird genügend Bewusstsein entwickelt dafür, dass ich mich entscheiden muss zwischen Gewalt und Geduld, um zum Gemeinwohl beizutragen?

Ausreichend ist sie sicher nicht. Aber Friedenspädagogik allein reicht auch nicht. Erfahrungen im Leben, dass Gewalt nicht zum guten Leben führt, helfen nachhaltiger.

Sollen und können Staaten ebenso miteinander verkehren? Oder gilt: Sympathie im zivilen Leben, Völkerrecht in der Politik?

Für den Umgang im zivilen Leben spielt Sympathie häufig eine entscheidende Rolle. In der Politik und gar in der internationalen ist das anders. Da geht es viel häufiger nur um die Durchsetzung von Interessen. Deshalb sind rechtliche Regelungen wie das Völkerrecht unverzichtbar.

Welche friedenspolitischen Alternativen und Ergänzungen sehen Sie?

Freiwilligendienste im Programm „weltwärts“ zum Beispiel oder andere, etwa des Deutschen Entwicklungsdienstes, insbesondere in Ländern des Südens können nicht nur ein Beitrag zur Hilfe und Entwicklung der Gesellschaften dort sein, sondern auch zur Entwicklung der Persönlichkeit der Dienstleistenden hin zum guten Leben. Die Jugendlichen erleben und lernen, dass unser relativer Wohlstand in Europa nach wie vor auf Kosten der Völker im Süden geht. Faire Handelsbeziehungen, gerechte Aufteilung der Nutzung von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen können häufig mehr zur Bekämpfung von Armut und wirtschaftlicher Entwicklung beitragen als finanzielle Entwicklungshilfe, die oft der Bevölkerung in den Ländern weniger zugute kommt als den Geberländern. Sie sind auch ein viel wichtigerer Beitrag zu mehr Sicherheit und zu Frieden in den fernen Regionen und weltweit.

Die gegenwärtige Politik setzt andere Schwerpunkte. Die Sicherung von Wohlstand und der freie Zugang zu natürlichen Ressourcen sind im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr 2006 als Kernziele „vernetzter Sicherheitspolitik“ aufgeführt.

In der Tat weist das Weißbuch der Bundeswehr neue Aufgaben zu wie Sicherung der Handelswege und Versorgung mit Rohstoffen. Das ist erschreckend und beängstigend – viel zu wenig bekannt und diskutiert. Der Beginn eines wirtschaftlichen Imperialismus mit deutscher militärischer Gewalt wie jetzt schon mit Nato- und Bundesmarine vor Somalia nach dem Motto: Und bist du nicht willig, uns dein Öl, Soja, Fisch, Holz, Metall oder Lithium billig zu geben, dann brauchen wir eben Gewalt. Die Auseinandersetzung über die zukünftigen Aufgaben der Nato und der Bundeswehr muss heraus aus den geheimen Konferenzen in die Öffentlichkeit

Widerspricht nicht der Export von Waffen, ja schon ihre technische Weiterentwicklung einer auf Frieden zielenden Politik?

Waffenexport bringt immer wieder viel zusätzliches Leid über die Menschen und wirkt meist friedensstörend und kriegsschürend. Selten hilft er zur Befreiung von Unterdrückung und zum Schutz der Menschenrechte. Meist machen Waffenexporteure gerade in Krisenländer sich mitschuldig an der Eskalation von Gewalt und Krieg. Das gilt nicht nur für die Hersteller und Exporteure von Waffen, sondern auch für die Politiker, die dies zulassen und gar fördern.

Eine gesellschaftliche Debatte darüber wird dadurch erschwert, dass der Bundessicherheitsrat geheim tagt.

Der Bundessicherheitsrat ist ein Teil der Bundesregierung. Er hält alles geheim vor der Bevölkerung und der Öffentlichkeit und auch vor dem Parlament, das eigentlich wichtige Waffenexportentscheidungen politisch und rechtlich kontrollieren soll.

Sollten die Entscheidungen über Waffenexporte nicht generell in der Öffentlichkeit diskutiert und vom Parlament mitentschieden werden?

Das Parlament sollte umfassend und rechtzeitig gerade auch über problematische Waffenexporte informiert werden. Die Entscheidungen aber trifft die Bundesregierung. Sie trägt die Verantwortung. Exekutive und Parlament sollten auch in diesem Bereich getrennt bleiben. Aufgabe des Bundestags ist es, die Entscheidungen zu kontrollieren, und zwar so rechtzeitig, dass er Waffenexport noch stoppen kann. Die Grünen haben dazu einen Gesetzesvorschlag verabschiedet.

Nach dem Kalten Krieg war viel von einer Friedensdividende die Rede. Zwanzig Jahre später stelle wir fest: Rüstungsexport wird in großem Stil betrieben. Und Endverbleibklauseln, die sicherstellen sollen, dass Lieferungen dort bleiben, wohin sie nach politischen Maßstäben geliefert werden dürfen, sind kaum wirksam.

Die mit der Wende 1990 verbundenen Hoffnungen vieler auf eine friedlichere Welt, weniger Waffenexporte und weniger Kriege haben sich leider nicht erfüllt. Die Friedensdividende blieb aus, die Kriege werden immer zahlreicher, und deshalb nehmen auch die Waffenexporte zu. Die Endverbleibklauseln bleiben wertlos, solange der Endverbleib der Waffen nicht wirksam kontrolliert wird. Aber das ist möglich, wie zum Beispiel die Praxis der USA beweist. Man muss es nur wollen. Die grüne Gesetzesinitiative enthält diese Verpflichtung zur Kontrolle.

Dürfen oder sollen wir auch heute noch einen Apfelbaum pflanzen?

Ja, sicher. Apfelbäume sollen und müssen wir pflanzen – und Kirsch- und Pflaumenbäume auch.

Peter Bethke, 72, war Internist, lebt in Eutin und ist engagiert in einer Friedensinitiative. taz-Genosse ist er seit 2005