Die Ertüchtigung der Seele

Ohne brüderliche Disziplin kein Soul: Los Hermanos, eine Untergruppierung des Technokollektivs Underground Resistance aus Detroit, heben mit ihrem Debütalbum Electrofunk „On Another Level“

Soul ist harte Arbeit. Man hat ihn nicht einfach, sondern muss ihn sich immerwieder neu erkämpfen

Berry Gordy hat es immer schon gewusst. Soul ist vor allem harte Arbeit. Man hat ihn nicht einfach, sondern muss ihn sich immer wieder neu erkämpfen. Im Feld von Detroit-Techno verkörpert niemand diesen Glauben so sehr wie Underground Resistance, eine seit Anfang der Neunzigerjahre existierende Gemeinschaft von Musikern, Produzenten und DJs, die mit militanten Botschaften und kompromisslosem Electrofunk aus dem Untergrund operieren – und damit für ihr Seelenheil ackern. In perfekter Ausprägung ist diese Strategie, das kollektive Schuften für die Erlösung durch Soul und Funk, auf dem ersten Album des UR-Projektes Los Hermanos nachzuhören. „On Another Level“ hebt die Historie von Underground Resistance quasi im Hegel’schen Sinne auf, da die Platte die Widersprüchlichkeiten von Detroit-Techno vereint, den ganz eigenen, unverkennbaren Sound konserviert und fortschreibt.

Die Entstehungsgeschichte wird auf der Platte von einem der Protagonisten in einem Interviewausschnitt gleich mitgeliefert. Los Hermanos entstanden als eine Unterabteilung von UR, aufbauend auf einem der Detroit-Tracks schlechthin: „Knights Of The Jaguar“ von The Aztec Mystic alias DJ Rolando aus dem Jahr 1999. Alle Themen waren da schon angelegt: House und Techno in perfekter Symbiose, lateinamerikanische Rhythmik und Harmonien sowie natürlich das UR-typische Streicher-Schmalz.

Unterstützt von Mad Mike Banks, der als Chefideologe von UR agiert, etablierte Rolando gemeinsam mit Gerald Mitchell Los Hermanos als eine polyvalente Schnittstelle des Detroit Sounds: Hispanics und Afroamerikaner kommunizieren im Kollektiv über die Geschichtsträchtigkeit und den Futurismus von Techno. Anlässlich der Veröffentlichung des Albums ziehen Los Hermanos diesen Sommer als mehrköpfige Band durch die Lande und feiern die roots ihrer Musik im männlichen Familienverband: Los Hermanos heißt nichts anderes als „die Brüder“.

Dieser kollektive Bandentwurf basiert allerdings auf klaren Regeln: Disziplin ist eine Grundvoraussetzung des Projekts, die Musiker fügen sich in strikte Hierarchien und ordnen sich der Gemeinschaft unter. Die militaristischen Mythen, die sich um UR ranken, sind eben nicht so ganz aus der Luft gegriffen. Doch diese Ordnungssysteme werden von den Mitgliedern bewusst angenommen, da sie eine Möglichkeit zur Selbstbehauptung darstellen. Im Gespräch betonen sie, dass die Arbeit bei Submerge, dem Vertriebsarm des Labels, und die durch UR ermöglichte musikalische Verwirklichung erst Stabilität und Sinn in ihr Leben gebracht habe. Die eiserne Seelendisziplin der Brüder ist so einfach auch eine notwendige Überlebensstrategie auf den Straßen von Detroit.

Wer Los Hermanos live auf der Bühne erlebt, versteht, wie ernst sie diese Haltung und damit ihre Musik nehmen: Es ist atemberaubend, mit welcher Tightness die bis zu sieben Musiker zusammenspielen, sich in Rhythmuswechsel stürzen und ihre Jazzsoli abfeuern. Ihre Live-Performance entschlüsselt in eindringlicher Weise, was im Code von Techno durch seine Abstraktion alles angelegt ist: Gospel, Soul, Funk, Salsa, Rock, Jazz – im Los-Hermanos-Sound findet all das in einem faszinierenden Schwebezustand zusammen. Zugleich klingen die Tracks klar und eindeutig, nichts wird verschleiert. Diese hypnotische Transparenz entwickelt die Wirkung von völlig entplastifiziertem Trance. In Kontrast zu europäisch geprägten Klangsprachen von Techno spielen hier die Novitätsaspekte von Sounds oder Tracks, die Editing und Übergeschnapptheit zu ihrem Hauptthema machen, keine Rolle. Die allgegenwärtigen Retrozyklen greifen nicht, da in der UR-Tradition nichts verdammt und über Bord geworfen, sondern immer weiter assimiliert und akkumuliert wurde. Die Brücken zurück zu den Anfängen stehen noch. Hipster können „On Another Level“ also als unzeitgemäß abtun, der Rest darf das Album zeitlos nennen. Gerald Mitchell meint es zwar nicht im übertragenen Sinn, wenn er vom Haus der Submerge-Familie spricht, das alle gemeinsam hegen und pflegen, aber vermutlich bringt er genau damit das Geheimnis der Ertüchtigung der Seele auf den Punkt: „Zuerst kümmern wir uns um das Haus und die Familie – und erst danach machen wir Musik.“ Angesichts des großartigen Albums von Los Hermanos kann man also annehmen, dass das Submerge-Gebäude in Detroit blitzblank strahlt.

ARNO RAFFEINER

Los Hermanos: „On Another Level“ (Submerge Recordings)