Aua, die An-Gie-Dos kommen

Warum es keine Generation Guido gibt, aber eine Generation Frank. Warum die wahren Verehrer der Linken konservativ sind. Warum die generation gabriel jetzt kleine Buchstaben schreiben muss. Und wie und warum es für Leute 40 plus unter einer Kanzlerin Angela Merkel und einem Vizekanzler Guido Westerwelle dennoch aufwärts geht

VON PATRIK SCHWARZ

Der Spiegel kündigte 2001 an, die 40-Jährigen würden den Marsch durch die Institutionen antreten, und rief die Generation Guido aus. Vier Jahre danach, mit einer Legislaturperiode Rückstand sozusagen, stehen Angela Merkel und Guido Westerwelle tatsächlich vor den Toren des Kanzleramts. Ist die Generation Guido also am Ziel?

Nein. Der große Sieger des Jahres 2005 ist die Generation Frank. Frank mit großem F, einem zu großen F, wie manche meinen. Unumstritten aber ist Frank Schirrmacher ein Titan des Großmarketings großer Ideen. Eine Biografie in Schlagworten: Kronprinz von Marcel Reich-Ranicki im FAZ-Feuilleton, rasch FAZ-Herausgeber, dort Erfinder der publizistischen Zweitverwertung der Desoxyribonukleinsäure (DNS) und nach seiner Gentech-Phase („CGAATTCGA“) umgesattelt auf biologische Altertumsforschung mit dem Bestseller „Hilfe, wir werden alt“ (oder so ähnlich).

Jetzt ist Frank wieder jung, verjüngt durch die Aussicht auf den Sieg der Seinen, der weniger ein politischer sein wird oder gar ein parteipolitischer, da ist Frank unabhängiger, als Kritiker ihm unterstellen, nein, die Seinen sind die Mittvierziger.

Ihrem Feldzug hat er sich verschrieben, ihre Morgenröte sieht er gekommen, wenn das Kanzleramt, dieser Repräsentativbau für die edelsten Ideale des deutschen Volkes, ab Herbst seine Pforten öffnen muss für die kleinen Brüder und Schwestern der 68er, hinter denen sie glaubten, so lange zurückstehen zu müssen. Es ist eine Generation ohne Namen, eine Generation der Sandwichkinder, der Zwischengestalten, weder erwachsen genug, um am Straßenkampf teilzuhaben, noch neugeboren genug, um sich nach dem Mauerfall am Leipziger Literaturinstitut als erste Autorengeneration des einigen Deutschland erfinden zu können. Never mind, dass Angela schon 50 ist (Frank ist Jahrgang 1959 und zählt bescheidene 45), jetzt ist die Zeit der 40-Jährigen und aller, die sich so fühlen wollen. Mit Guido hat das alles nichts zu tun, dessen Originalität kann sich mit Frank nicht messen, und selbst beim Marketingtalent ließe sich trefflich streiten, wer von beiden die Nase vorn hat (ein Werk über Demografie, gesellschaftlichen Wandel und die Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme in Allianz mit der Bild zu vermarkten – da kann das Guidomobil nur mit den Spitzendeckchen schlackern).

Außerdem muss der Vizekanzler in spe sich erst beweisen, das hat der FAZ-Herausgeber schon hinter sich. Im eigenen Leben hat er vorgemacht, was er jetzt von seiner Generation erwartet: keinen Marsch durch die Institutionen, sondern den Sturm auf die Institutionen. Und danach ein gutes Glas Portwein.

Doch wo die Generation Frank sich mit einem F schreibt, so hoch und keck wie im Schwimmbad das 10-Meter-Brett, da gibt es auch eine generation gabriel, mit doppelt kleinem g. Selbstverständlich ist auch in Deutschland die Gruppe der Frühvierziger bis Spätfünfziger heterogen, mindestens aber – wie der Rest der Gesellschaft – unterscheidbar entlang der vielleicht undeutlichen, aber immer noch erkennbaren Scheidelinie zwischen eher links und eher rechts.

Sieben satte Jahre liegen nun hinter den Freunden der Rot-Grün-Front, zwei Wahlsiege, geschätzte 20 Koalitionskrisen und zehnmal so viele Neuanläufe („Wir haben verstanden.“). Ermattet von dieser intellektuellen wie ideellen Kraftanstrengung sinkt ein gesellschaftliches Lager auf die politische Ruhestatt, jene Ottomane namens Opposition. Doch den Preis für das parlamentarische Mittagsschläfchen (in Grimms Märchen dauern solche Nickerchen auch schon mal hundert Jahre) zahlt die generation gabriel: jene Gestalten, keineswegs nur Politiker, die wie der einstige Kanzlerliebling Sigmar Gabriel, 45, in der alten Zeit zu jung oder zu tölpelhaft waren, um die Feuerprobe der Machtteilhabe zu bestehen, und deren Gönner in der neuen Zeit keine Macht mehr zu vergeben haben.

Was ihnen nun droht, erlebte während der Jahre der rot-grünen Herrschaft die andere Seite, Schwarz-Gelb: das Scheitern an den Umständen, nicht einem Mangel an Befähigung. Den Betroffenen muss es vorkommen, als litten sie unter einer heimtückischen Art von politischer Wachstumsstörung: Alles wächst weiter, die Befähigung und – in Potenz – der Ehrgeiz, nur an der Macht fehlt es, den eigenen Ambitionen Ausdruck zu verleihen. Die Folge sind Deformationen. Die Verbitterung gräbt sich den derart Gequälten nicht selten in Augen, Mund und Körperhaltung. So weit, so schlimm, aber was schert den gemeinen Bürger die psychosomatische Symptomatik von Politikern, seien sie schwarze, grüne oder gelbe?

Mehr, als man meinen könnte. Ist der Politiker krank, leidet der Wähler, jedenfalls wenn er dem Kranken in politischer Sympathie verbunden ist. Wer sich mit dem Schicksal von Rot oder Grün identifiziert hat, kann sich die narzisstische Kränkung nicht ohne weiteres vom Leib halten, die eigene Truppe jetzt verlieren zu sehen. Hinzu kommt, in einer Gesellschaft, in der der Staat so regelmächtig präsent ist wie in der Bundesrepublik, gibt es kaum einen Bereich des öffentlichen Lebens, der nicht – und sei es noch so indirekt – von der politischen Symbolwirkung erfasst wird, die ein Regierungswechsel entfaltet. Am stärksten freilich verändern politische Farbenwechsel jenes unablässige mediale Hintergrundmurmeln unserer Gesellschaft, das man volltönend die Selbstverständigungsdiskurse der Bundesrepublik nennen könnte.

Einfacher formuliert: Zeitungslesern, die mit Rot-Grün sympathisieren, stehen Kränkungen ohne Ende bevor – gerade so, wie in den letzten sieben Jahren die Freundeskreise von Union und FDP ihre Blätter nach der notgedrungenen, aber widerwilligen Lektüre oft mit Abscheu aus den Händen legten.

Politische Protagonisten, Ideen und Konzepte, die dem sozialdemokratischen Lehrer oder der grünen Bürgerdezernentin wichtig sind, drohen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung unterzugehen, zumindest aber sind sie einer steten, wenn auch subtilen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Abwertung ausgesetzt. Solange fünf Zeitungen plus „Tagesschau“ und „heute-journal“ ausführlich über die Homoehe berichten, freut sich das liberal-alternative Milieu, auch wenn die realen Reformen am Ende hinter ihren Erwartungen zurückblieben. Umgekehrt hing der standhafte Schwarz- oder Gelb-Wähler in jenen Jahren frustriert im Lese- oder Fernsehsessel und schimpfte, warum sich die rot-grünen Ideologen nicht mit den wirklich drängenden Problemen des Landes beschäftigten. Dabei verkannten sie, dass die Homoehe vorrangig der Selbstbefriedigung eines progressiven Anspruchs galt, die eigene Aufgeklärtheit mittels demonstrativ aufgeklärter Gesetze unter Beweis zu stellen.

Wenn ab Herbst die Schwarzen in Berlin regieren, dürften umgekehrt die Themen der Neu-Konservativen bevorzugt ihren Weg in Zeitungen und Sendungen finden. Denn auch in pluralen Mediengesellschaften gilt: Über die Kraft eines Argumentes entscheidet die Macht mehr als der Geist. Zur Ehrenrettung der deutschen Publizistik sei gesagt, dass diese Dynamik ihre Ursache weniger in individuellem Opportunismus hat – obwohl es den gibt –, sondern an einem strukturellen, verfassungsmäßig gewollten Opportunismus. In der Demokratie sind Parteien Ausdruck des Volkswillens, jedenfalls im Ideal, und nichts wollen Publizisten lieber, als den Geschmack des Volkes treffen, irgendwer muss ja schließlich ihre Texte lesen.

Was also wird uns das neokonservative Agendasetting in Zukunft zum Frühstück servieren? Angela Merkel und Guido Westerwelle haben die Jahre des Lavierens inzwischen hinter sich gelassen, sie sind nicht nur per Du, sie haben auch eine klare Vorstellung, wie sie Deutschland verändern wollen. Angela und Guido und alle An-Gie-Dos, die denken wie sie, setzen auf eine Mission: Deutschland flexibilisieren. „Flexibilisierung“ ist ihr großes Dogma. Flexibilisierung bei den Ladenschlusszeiten, Flexibilisierung bei den Studiengebühren und -zeiten, Flexibilisierung bei der Bundeswehr. Und ganz wichtig, bitte schön, Flexibilität in den Köpfen.

MORGEN: Warum eine resignierte Linke ausgerechnet bei der Generation F Hoffnung findet.