: Occupy Biennale
Ein Versuch die Kunst zu repolitisieren – die Biennale sucht die Konfrontation und lässt sich okkupieren
■ Die Biennale startet am 27. April.
Seit kurzem steht fest, dass nicht nur die Occupy-Halle, sondern die gesamte Biennale-Ausstellung unentgeltlich zugänglich sein werden.
Artur Żmijewski, der Kurator der diesjährigen Berlin Biennale, hat sich viel vorgenommen: Angetrieben von der Überzeugung, Kunst könne die Gesellschaft verändern, will der polnische Künstler versuchen, Kunst zu repolitisieren und KünstlerInnen dazu zu bringen, sich wieder der gesellschaftlichen Konfrontation zu stellen. Dieses ambitionierte Projekt will der Kurator durch einen direkten Austausch zwischen VertreterInnen aus der Kunst, politisch aktiven Menschen und BesucherInnen der Biennale verwirklichen.
Eingeladen zu dem interdisziplinären Austausch hat Żmijewski neben AktivistInnen des Arabischen Frühlings, dem Zentrum für Politische Schönheit und der polnischen Politikgruppe Krytyka Polityczna auch die Bewegungen Occupy, Echte Demokratie Jetzt!, 15M und Indignados. Dass die Wahl auf Occupy und die anderen Graswurzelbewegungen fällt, ist kein Zufall, haben diese doch im vergangenen Jahr gezeigt, dass auch in unseren postdemokratischen Zeiten Menschen ihre Wut über die herrschenden Verhältnisse gemeinsam auf die Straße tragen können.
Ausgehend von den Protesten der Empörten in Spanien wurden im Herbst 2011 in vielen großen Metropolen zentrale Plätze besetzt, die Medien berichteten fast täglich von den Geschehnissen in New York, Athen, London oder Madrid, wo Menschen für gerechtere gesellschaftliche Verhältnisse demonstrierten, bis ihre Camps zum Teil mit Gewalt geräumt wurden. Ihrer Größe und Bedeutung entsprechend wird den Graswurzelbewegungen auf der Biennale eine Fläche von 400 Quadratmetern zur Verfügung gestellt, auf der sie politische und künstlerische Aktionen durchführen können.
Wie die OrganisatorInnen berichten, hätten sich an der Verwirklichung bisher über hundert Menschen aus Deutschland, Spanien, New York und den Niederlanden beteiligt, viele weitere aus verschiedenen Ländern würden zum Beginn der Biennale erwartet. Die AktivistInnen wollen die Chance nutzen, sich international zu vernetzen, um in Zukunft noch besser zusammenzuarbeiten.
Die OrganisatorInnen haben in der Planung den Raum bewusst als Forum für politische Partizipation, Austausch und Diskussion gestaltet. Sie freuen sich darauf, andere Menschen für verschiedene Formen des gesellschaftlichen Widerstands anzuregen. „Die BesucherInnen sollen mitmachen und ihre Ideen für eine neue Gesellschaft einbringen“, sagt Pola, eine Aktivistin. Eine Gefahr, durch die Teilnahme an der Biennale vermarktet oder zur Schau gestellt zu werden, sehen sie und ihre MitstreiterInnen nicht. Schließlich hätten sie die Angelegenheit ausführlich diskutiert und seien sich mit dem Kuratorenteam einig gewesen, dass die autonome und basisdemokratische Gestaltung des Raums oberste Priorität habe.
Was den Ablauf und die Gestaltung des Freiraums anbelangt, orientieren sich die AktivistInnen an den Protesten der weltweiten Demokratiebewegung. Hauptinstrument ist auch hier die „Asamblea“ genannte öffentliche Versammlung, bei der auch zufällig Teilnehmende eigene Beiträge zur Diskussion und Entscheidung einbringen können. Alle sollen ermutigt werden, ihre Stimme zu erheben. Bei der Biennale soll mindestens dreimal pro Woche eine solche Asamblea stattfinden. Außerdem werden Zelte und Matratzenlager aufgeschlagen, in denen übernachtet werden kann.
Inhaltlich orientieren sich die OrganisatorInnen ebenfalls an dem, was in den Occupy-Camps in Europa und in den USA diskutiert wurde. Zusammengefasst geht es darum, basierend auf globalen sozialen, politischen sowie ökonomischen Schieflagen, nach alternativen Konzepten für tiefgreifende gemeinsame Veränderungen zu suchen. Hauptforum hierfür soll die autonome Universität sein, in der AktivistInnen ihr Wissen in Präsentationen, Seminaren und Workshops erweitern und teilen wollen.
Daneben sind zahlreiche künstlerisch-politische Aktionen innerhalb und außerhalb des Freiraums geplant. Im „Computer HackLab“ soll an alternativen Informationssystemen gearbeitet werden, Initiativen wie Transition Towns wurden eingeladen, ihre Konzepte zur nachhaltigen Begrünung von Städten und Selbstversorgung vorzustellen, im Hinterhof soll es „Guerilla Gardening“-Workshops geben.
Der Freiraum lebt wie die Occupy-Camps von Menschen, die sich einbringen wollen. Deshalb freuen sich die AktivistInnen über jeden, der mitmacht. Auch benötigen die OrganisatorInnen noch Einrichtungsgegenstände, Kochutensilien und technische Geräte für ihren Freiraum (eine detaillierte Liste findet sich auf der Homepage des Projekts) sowie einen Transporter. Für die anreisenden AktivistInnen und Gäste werden zudem Schlafplätze gesucht.
Wer also AktivistInnen bei sich unterbringen, Sachen spenden oder verleihen möchte, der melde sich per Mail bei den angegebenen Kontakten (siehe Infokasten links). Ansonsten gilt: kommen und mitdiskutieren!
LUKAS DUBRO