: Nicht jeder Türke wird als Soldat geboren
SCHWUL IN ISTANBUL Die türkische Filmwoche eröffnet heute mit „Zenne – Dancer“, einem Spielfilm, in dem junge Schwule versuchen, in einer traditionsbewussten Umgebung klarzukommen und dem Militär zu entgehen
VON CANSET ICPINAR
Bauchtänzer tragen bunte, perlen- und paillettenbestickte Seidengewänder. Aufwändiger und geschnörkelter Schmuck, besetzt mit farbigen Edelsteinen, verziert ihre filigranen Körper. Die vielen Goldketten und Goldreifen klimpern an ihnen, wenn sie sich rhythmisch zum Takt orientalischer Musik bewegen. „Zenne“ werden die männlichen unter ihnen genannt. Can ist ein Zenne.
Der Film „Zenne Dancer“, mit dem heute die türkische Filmwoche eröffnet wird, spielt im Istanbul der Gegenwart und behandelt die gesellschaftliche Ächtung von Homosexualität in der modernen Türkei. Während Can als Bauchtänzer zu jenen gehört, die ihre sexuelle Neigung nach außen hin ausleben, ist Ahmet, ein kurdischer Student aus Südostanatolien, ständig darum bemüht, seine wahre Identität vor seiner traditionsbewussten Familie zu verheimlichen. Doch die beiden Freunde verbindet ein gemeinsames Problem: der Militärdienst, den beide um keinen Preis antreten möchten.
Zunächst völlig unberührt von diesen Problemen ist Daniel, ein deutscher Fotojournalist, der bei einem Shooting mit dem Tänzer Can auch Ahmet kennenlernt. Erst als sich Daniel in den Studenten verliebt, wird er mit den Problemen konfrontiert, die Homosexuelle in einem patriarchalisch und islamisch geprägten Land haben können.
Das Neue an dem Film der Regisseure M. Caner Alper und Mehmet Binay ist nicht, dass Homosexualität das Hauptthema ist, sondern die offene Kritik am türkischen Militär, welches in der Türkei einen nahezu unantastbaren gesellschaftlichen Status genießt. So heißt es im Volksmund „Her türk asker dogar“ (Jeder Türke wird als Soldat geboren) oder „En büyük asker bizim asker“ (Das größte Militär ist unser Militär). Obwohl der Film bereits vor dem Kinostart im vergangenen Jahr Kontroversen auslöste, wurde er 2011 auf dem größten türkischen Filmfestival in Antalya überraschenderweise gleich in fünf Kategorien ausgezeichnet. Preise hätten sich die Regisseure erhofft, aber nicht erwartet, erklärten sie freudig in diversen Interviews.
Das Besondere an der Geschichte ist auch, dass sie auf wahren Begebenheiten beruht. So ist die Figur von Ahmet, der im Film nach seinem Coming-out von seinem Vater auf offener Straße ermordet wird, angelehnt an den Mord, der 2008 an dem Studenten Ahmet Yildiz verübt wurde (siehe taz vom 5. 9. 2009). In den europäischen Medien wurde der Mord an Ahmet Yildiz als erster „Ehrenmord“ an einem Mann bezeichnet. Dem ist natürlich nicht so, in der Türkei gab es viele solcher Fälle, aber es war der erste Prozess dieser Art.
„Diese Geschichte musste erzählt werden“, sagt der Filmemacher Mehmet Binay in einem Interview. „Doch ohne die Gefühle von Menschen zu verletzen“, fügt er dem hinzu. Die beiden Regisseure sind sich der Brisanz des Themas bewusst; sie haben deshalb sehr viel Wert darauf gelegt, eine emotionale Bindung zu den Zuschauern aufzubauen. So gibt es im Film ausführliche Szenen über die familiären Bindungen der Protagonisten, besonders über die Mutter von Can erfährt man viel: Ihr Ehemann, ein General, fiel. Ihr ältester Sohn ist nach dem Militärdienst verstört und gebrochen. Nun will sie nicht noch ihren jüngsten Sohn an die türkische Armee verlieren und schützt ihn, wo immer es geht.
„Zenne – Dancer“ handelt auch davon, dass sich Homosexuelle unter bestimmten Umständen vom Militärdienst befreien lassen können, nämlich dann, wenn es Fotos oder Videoaufnahmen gibt, die sie beim passiven Analverkehr zeigen. Dieses Attest bedeutet Demütigung und Schikane, und es kann auch im weiteren Berufsleben Schwierigkeiten nach sich ziehen, wie etwa bei der Einstellung im öffentlichen Dienst.
Inmitten der Probleme von Can und Ahmet steht Daniel für die westliche Sicht der Dinge. Für den Deutschen ist es völlig unverständlich, weshalb Ahmet seiner Familie nicht die Wahrheit sagt, und da er fest daran glaubt, dass Ahmets Familie ihn früher oder später akzeptieren wird, ermutigt er seinen Geliebten zum Coming-out. Am Ende kostet Ahmet die Wahrheit das Leben.
Obwohl Homosexualität in der Türkei seit über 150 Jahren nicht mehr unter Strafe steht, wird sie immer noch tabuisiert. Der Film „Zenne – Dancer“ gibt einen Einblick in die schwule Szene Istanbuls, in eine Welt, in der manchmal glitzernde Kostüme und die Angst ums eigene Leben aufeinandertreffen.
■ Zu sehen ist der Filme heute um 19.30 Uhr bei der Eröffnung der Türkischen Filmwoche im UCI Collosseum in Prenzlauer Berg. Programm unter www.tuerkischefilmwoche-berlin.de