Demografiedebatte auf rotem Plüsch

ALTER Die CDU debattiert mit ihren Mitgliedern über Pflege, Gesundheit und Wohnen im Alter – im Kino

„Altersdiskrimi- nierung gehört abgeschafft“

Detlef Schmidt, Senioren Union

Der Mann da vorne hat das gute Aussehen eines Filmstars. Dass er es dennoch nicht ist, sieht man schon daran, dass er sich nur vor der Kinoleinwand befindet und nicht darauf. Mario Czaja, 36-jähriger Charming Boy der CDU und Senator für Gesundheit und Soziales, spielt am Montagabend im Saal 3 des Cinestar im Sony-Center dennoch die zentrale Rolle. Er soll seinen Zuhörern das Konzept der Christdemokraten zum demografischen Wandel erklären – also die Geschichte von der immer älter werdenden Gesellschaft.

Da überrascht es kaum, dass vorwiegend graue und weiße Haarschöpfe am roten Plüsch der Sessel lehnen. Gut 200 CDUler sind zur Mitgliederversammlung erschienen, die in ihrer Form so anders ist als die üblichen Treffen in Hotels oder Tagungszentren. Czajas Auftritt hat dann auch wenig von normalen Parteitagsreden. Wie ein Manager bei einer Präsentation, bloß mit weniger Worthülsen, stellt er zwölf Punkte vor und lädt zur Debatte ein. Die gibt es tatsächlich in der Partei, die noch im November den Koalitionsvertrag einstimmig und ohne jede Wortmeldung abnickte.

Rege war zuvor auch die Beteiligung im Internet gewesen. Denn vielen, die jetzt im Publikum sitzen, geht es zu langsam mit dem behindertengerechten Umbau von Bahnhöfen oder mit mehr altengerechtem Wohnen. Echte Kritik am bisherigen Auftreten der CDU in der Regierung bleibt aus. Man genießt merklich, nach zehn Jahren endlich wieder im Senat zu sein.

Dass Berlin etwas in Sachen Gesundheit und Pflege tun muss, zeigen schon die Zahlen, die hinter Czaja auf die Leinwand geworfen werden: Aus derzeit 100.000 Pflegebedürftigen werden bis 2030 rund 170.000. Die Gruppe der über 80-Jährigen wird sich bis dahin nahezu verdoppeln.

Unterm Strich bleibt schließlich vor allem die Kritik des Senators an der Bauordnung, in der er ein großes Hindernis auf dem Weg zu mehr barrierefreiem Wohnen sieht. Den Denkmalschutz bei vielen Altbauten will auch er nicht schleifen, doch wenn der etwa dem Einbau eines Fahrstuhls entgegenstehe, hält er ihn für kontraproduktiv. Zudem will Czaja mehr Kontrolle von Pflegediensten. Als abschreckendes Beispiel nennt er mehrere Pflegewohngemeinschaften übereinander in einem Hochhaus, die nachts von einem einzigen Pfleger betreut würden.

Und dann wäre da noch die Ärzteversorgung, die Czaja mit dem „Versorgungsstrukturgesetz“ verbessern will. Entscheidend soll nicht länger sein, dass es stadtweit genug Mediziner gibt, sondern in jedem Kiez. Als Extremfall nennt der Senator die Versorgung mit Psychotherapeuten: Die liege in Marzahn-Hellersdorf bei 32 Prozent des Bedarfs, in Charlottenburg-Wilmersdorf hingegen bei 418 Prozent – was Czaja nicht als Ausdruck der Geistesverfassung seiner dort stark vertretenen Parteifreunde verstanden wissen will.

Eins gibt ihm Detlef Schmidt, Landeschef der Senioren Union, noch mit auf den Weg: Die Alten wollen ernst genommen werden. Schmidt versteht nicht, wieso Joachim Gauck mit 72 Bundespräsident werden kann, in einem Berliner Bezirk aber wegen einer Altersbegrenzung nicht mehr Stadtrat sein dürfte. Das Grundgesetz müsse geändert werden: Nicht nur wegen Geschlecht oder Abstammung, auch wegen seines Alters solle niemand mehr benachteiligt werden dürfen: „Altersdiskriminierung gehört abgeschafft.“ STEFAN ALBERTI