LESERINNENBRIEFE :
Deutsche Schicksale …
■ betr.: „Das tote Mannequin“, taz vom 17. 4. 12
Während Werner und Kurt, die beiden in der Nazizeit verfolgten Brüder von Walter Caro, wie Autorin Alexandra Senfft schreibt, „noch bis in die 1960er Jahre um eine dürftige Entschädigung für all das, was ihnen angetan worden war“, kämpften, hatte es der „Henker von Mailand“ (er ließ im August 1944 zur Vergeltung 15 Widerstandskämpfer auf dem Mailänder Loreto-Platz erschießen) entschieden besser getroffen. Theo Saevecke, so im Personenlexikon zum Dritten Reich nachzulesen, trat 1929 18-jährig der NSDAP bei, arbeitete als Kriminalrat im Reichssicherheitshauptamt und wurde als Mitglied von Einsatzkommandos hoch dekoriert. Saevecke war von 1945 bis 1948 in Dachau interniert. Danach arbeitete er beim US-Geheimdienst. 1952 kommt er als Kriminalkommissar zur Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamts. Als Regierungskriminalrat ist er ab 1956 Leiter des Referats Hoch- und Landesverrat. Er verantwortete 1962 die Durchsuchung und Verhaftungsaktion gegen das Magazin Der Spiegel. 1971 ging er in den hochdotierten Ruhestand. Den genoss er noch 29 Jahre, bis er 2000 starb. Deutsche Schicksale …
LUTZ BEHRENS, Plauen
Humane Tradition abgewertet
■ betr.: „Den Kopf immer tiefer im Sand“, taz vom 11. 4. 12
Es ist die unglaublich diffamierende Abwertung einer humanen Tradition, die mich zuletzt ein paar Tage sprachlos machte. Sie gipfelte am Ende in diesem Satz: „Reformpädagogik (…) ist eine wirkmächtige, beinahe betäubende Dachidee (…), in dem die Päderastie als ursprünglicher Gedanke und Aktion bestens gedieh.“
Die Liste bedeutender ReformpädagogInnen ist lang. Eng mit ihnen verbunden ist ein tiefgreifender Wandel des pädagogischen Menschenbilds im letzten Jahrhundert. Reformpädagogen starben in Konzentrationslagern. In eine lange Reihe von unbekannten Reformpädagogen füge ich mich selbst am Ende eines Arbeitslebens als Lehrer und Sonderpädagoge ein. Die sexuellen Übergriffe im Namen einer reformpädagogischen Konzeption an der Odenwaldschule sind unfassbar und furchtbar. Sie fordern uns alle zur Wachsamkeit auf. Völlig unsinnig ist dagegen die undifferenzierte Verhetzung der Reformpädagogik in dem Beitrag. Sie hat mich schockiert.
UWE MITZKEIT, Schwalmtal
Religion sollte Privatsache sein
■ betr.: „Die Kraft des Faktischen“, taz vom 16. 4. 12
Mit zunehmender Sorge habe ich diese Entwicklung gespürt, als ich im März in Istanbul war. Bildung – gerade für Frauen – ist die wichtigste Voraussetzung für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft. Aber manche Kreise scheinen eher an dem Erhalt der bestehenden Machtverhältnisse interessiert.
Religion sollte in der heutigen Zeit zunehmend reine Privatsache werden! Nur in Ländern mit staatlich gewünschter Religion werden die Unterschiede zwischen Evangelikalen, orthodoxen Juden und Islamisten prägnant. Dabei sind die Grundwerte dieser Religionen identisch oder fast gleich. NORBERT VOSS, Berlin
Rederecht hin und her
■ betr.: „Reden ist im Bundestag nicht ganz so leicht“, taz v. 17. 4. 12
Rederecht hin und her. Der Einfluss auf das Abstimmungsverhalten unserer Parlamentarier ist doch denkbar gering, solange es den Fraktionszwang, beschönigend Fraktionsdisziplin genannt, gibt. Weil die angebliche Gewissensfreiheit gegen das Karrieredenken ausgespielt wird, wenden sich zunehmend mehr Menschen von unseren etablierten Parteien ab. GÜNTER GOTTINGER, Erlangen
Substanzlose Überhöhungen
■ betr.: „Darf der Hänsel mit der Gretel?“, taz vom 13. 4. 12
Gewaltige Worte: Inzestverbot = zivilisatorische Norm, Moses, Solon, Priesterinnen und Häuptlinge als Zeugen. Kennen wir derartige substanzlose Überhöhungen nicht irgendwie? Ach ja: Auch Ehebruch und Homosexualität waren einmal strafbar. Liebe und einvernehmlicher Sex zwischen Volljährigen ist Privatsache und geht die Gesellschaft nichts an. HOLGER GUNDLACH, Hamburg
Anspruch auf ein Kind?
■ betr.: „Jetzt fehlen nur noch die Spielregeln“, taz vom 13. 4. 12
Worauf basiert eigentlich der vermeintlich verbriefte Anspruch auf ein Kind? Und dann noch auf ein gesundes, makelloses Kind? Diesen Menschen, die eigentlich Demut vor dem Leben lernen sollten, statt blind und egozentrisch einem Kinderwunsch hinterherzueifern, soll angeblich durch PID „geholfen“ werden. Tatsächlich wird hier aber unter dem Deckmäntelchen der Nächstenliebe ein ganz anderes Ziel verfolgt: Forschung, die die Natur und ihre Vielfalt und Eigenarten überflüssig werden lässt; der Mensch optimiert den Menschen nun einfach selbst!
Ist die Technik dann weit genug entwickelt, wird es keinen Halt mehr vor dem Selektieren geben. Und dann geht es nicht mehr um die Verhinderung von Erbkrankheiten, nein, dann wird der Mensch kreiert, den die moderne Gesellschaft will und braucht: unmündig, unkompliziert, arbeitswillig, kritiklos und ohne Bedürfnis nach Partnerschaft und Privatsphäre. NATHALIE BERUDE-SCOTT, Essen