: Statt Paris–Texas lieber Istanbul–Berlin
Anders als zum Beispiel in Frankreich ist das türkische, kurdische, irakische und iranische Autorenkino in Deutschland weitgehend unbekannt. Das zu ändern hat sich Mehmet Aktas zur Aufgabe gemacht. In Friedrichshain hat er den Filmverleih Mitosfilm ins Leben gerufen und damit auch noch Erfolg
VON SIMONE SCHMOLLACK
Der türkische Film und die türkische Kultur sind in Deutschland vor allem mit Namen wie Fatih Akin und Feridun Zaimoglu besetzt. Doch die beiden sind Türken der dritten Einwanderergeneration, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Sie zeichnen vor allem Integrationsbilder und die Suche nach einer eigenen Identität zwischen zwei verschiedenen Welten. Was aber ist mit Filmen, die vor Ort entstehen und die Leben, Kultur und damit verbundene Sehnsüchte ungebrochen darstellen? Anspruchsvolle Arthouse-Filme und keine billigen Pop-Streifen, die im türkischen Fernsehen laufen? Es gibt sie hierzulande nicht. Wie auch irakische, iranische und kurdische Filme nicht den Weg nach Deutschland finden. Dabei leben in Deutschland mehr als zwei Millionen Kurden und Türken.
Als vor knapp einem Monat die irakisch-iranische Koproduktion „Schildkröten können fliegen“ in deutschen Kinos angelaufen ist, hat dies nicht nur den iranisch-kurdischen Regisseur Bahman Ghobadi gefreut, sondern vor allem Mehmet Aktas. Ohne ihn wäre das auf der diesjährigen Berlinale mit dem Friedensfilmpreis ausgezeichnete Flüchtlingsdrama, das an der irakisch-kurdischen Grenze spielt, nach den Filmfestspielen in der Versenkung verschwunden.
Mehmet Aktas ist Gründer und Geschäftsführer von Mitosfilm, einem Verleih für den jungen türkischen, kurdischen, irakischen und iranischen Autorenfilm. Der kurdische Dokumentarfilmer und Journalist kam vor neun Jahren aus Istanbul nach Deutschland und litt daran, dass seine Kultur hier nicht angemessen präsentiert wird. Das liegt vielfach an seinen Landsleuten selbst, die sich vielfach mit Schinken aus Kitsch und Seifenopern zufrieden geben. Aber vor allem auch daran, wie der Film aus dem Nahem Osten von den deutschen Institutionen behandelt wird. „Er wird hier nicht wahrgenommen“, sagt der 38-Jährige. Weswegen die Filmemacher hauptsächlich nach Frankreich streben, wo das Nahost-Kino nicht nur zuvorkommender aufgenommen, sondern vor allem gefördert wird.
Als es Mehmet Aktas vor sechs Jahren nach Berlin zog, trug er die Idee für den Filmverleih bereits in seinem Kopf. Doch erst vor acht Monaten konnte er sie realisieren. In einem dunklen Erdgeschoss in der Friedrichshainer „Szene-Gegend“ eröffnete er sein Büro, das inzwischen vier Mitarbeiter aufrechterhalten. Aktas hat die Gründung von Mitosfilm, zu Deutsch Mythosfilm, aus eigenen Mitteln finanziert, lediglich 20 Prozent kamen vom Land Nordrhein-Westfalen und von medico international.
Mitosfilm hat neben seinem künstlerisch-ästhetischen vor allem einen politischen Anspruch. Aktas: „Die Deutschen glauben zu wissen, wie das Leben beispielsweise im Irak aussieht. Sie erleben es täglich in den Medien: Krieg, Krieg, Krieg. Doch die Berichterstattung bleibt an der Oberfläche und spiegelt nicht den Alltag wider.“ Diesen Alltag als authentisches Kino und mitunter mit einer kurdischen Filmsprache den Deutschen wie türkischen MigrantInnen nahezu bringen, ist Mitosfilm angetreten. Mit Regisseuren wie Kazim Öz, Yusuf Kurduli, Bijan Zamanpira und Yüksel Yavuz, die ihre Heimat kritisch beschreiben und deren Filme zum Teil verboten sind.
Mehmet Aktas’ Verdienst ist es auch, im Herbst 2002 in Berlin das erste und einzige kurdische Filmfestival in Deutschland gegründet zu haben. Damals war Aktas überrascht, wie viele junge, gute Filmemacher es im Nahen Osten mittlerweile gibt. „Deren Potenzial wird oft nicht ausgeschöpft.“ Und nicht bekannt gemacht. Das Filmfestival machte Schule und expandierte: nach Rom, Wien, Paris, London, Zürich und Köln.
Berlin wird in diesem Jahr allerdings auf seine kurdischen Filmtage verzichten müssen. Mehmet Aktas plant nicht nur eigene und internationale Koproduktionen, sondern ist stark damit beschäftigt, noch in diesem Herbst einen weiteren türkischen, politisch brisanten Film in die deutschen Kinos zu bringen. „Waiting for the clouds“ der Regisseurin Yesim Ustaoglu („Reise zur Sonne“, 1999) klagt ein Thema an, das die türkische Geschichtsschreibung bis heute ausgeblendet hat: die Vertreibung griechischer Einwanderer und tödliche Deportationen während des Ersten Weltkrieges.