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Archiv-Artikel

Auch Beinkleider machen Leute

Was steckt hinter dem Herrenmodephänomen der albernen Dreiviertelhose? Ein Erklärungsversuch

Diese Hosenträger leben alle in der unterbewussten Furcht vor einer Art Hochwasser

Der Sommer naht mit großen Schritten – oder eher noch mit bloßen Männertitten, denn siehe: kaum hatte dieses überraschende Maihoch in der vergangenen Woche die erste große Hitze nach Deutschland geschaufelt, schon pellten sich die Deutschen ebenso groß- wie freizügig aus ihren Klamotten, und allerorten war wieder viel nacktes Fleisch zu besichtigen. Ob man wollte oder nicht. Meistens wollte man nicht.

Aber es soll hier nicht wieder die altbekannte Klage über die allsommerlich auftretende Plage des öffentlichen Nacktmolchens aufgerollt werden. Jene deutsche Unart also, nach der es hierzulande schon bei zaghafterem Sonnenschein üblich ist, jeden egal wie missratenen Body möglichst textilfrei den ungeschützten Blicken der Mitmenschheit auszusetzen. Schließlich dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein, dass dieses Vorrecht, wenn überhaupt, nur den gebenedeiteren Torsi einiger weniger Schönheiten zusteht. Wir gewöhnlichen Körperinhaber sollten uns bei der Präsentation jeglicher Nacktheit taktvoll zurückhalten und selbst die partienweise Zurschaustellung unserer unbekleideten Leiber möglichst auf den Puff- oder Arztbesuch beschränken. Hure und Doktor werden schließlich für jeden noch so schlimmen Anblick bezahlt.

Heftig beklagt werden aber muss ein in diesem Sommer offensichtlich ganz neu aufblitzendes, jedenfalls während der jüngsten Hitzewelle erschreckend breit zu registriertes Übel: das Herrenmodephänomen der Dreiviertelhose. Häufig getragen in Verbindung mit einem sportiv-schwuchteligen Outfit, aber auch schon mal im Verbund mit der gemeinen und gern auch weiß besockten Herrensandale ist dieses, das Männerbein nur zu dreieinhalb Vierteln bedeckende Textil eine optische Zumutung ohnegleichen. Seit der Latzhose, wie sie in den frühen Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts von der alternativen Sorte Mann beziehungsweise Weichei getragen wurde, musste keine Herrenhosenmode mehr so entschieden gegeißelt werden. Was bis dahin nur jene Latzhose geschafft hatte, nämlich ihren erwachsenen Träger wie einen jeglicher Manneswürde beraubten infantilen und albernen Hanswurst wirken zu lassen, das kriegt nunmehr auch die Dreiviertelhose hin. Nicht mal die viel geschmähten Shorts verleihen einem Mann ein erbärmlicheres Aussehen als diese, seine Knie zwar bedeckende, aber eine Handbreit darunter abrupt endende Dreiviertel- oder Siebenachtelhose.

Zwei Drittel aller deutschen Männer zwischen 14 und 72 Jahren besitzen solche sieben Achtel langen Hosen und tragen sie sogar; so jedenfalls der in den Mai-Hitzetagen staunend zur Kenntnis genommene und zunehmend erschütternde Eindruck. Männer jedweder Statur sah man damit allenthalben und ungeachtet so siebenachtelhosenungeeigneter körperlicher Entstellungen wie Breitarsch, Waschmaschinenbauch oder X-Beinigkeit herumlaufen. Und das keineswegs bloß on the beach, für das diese Hosensorte ursprünglich mal konzipiert worden war. Von dort hat sie aber längst ihren schauerlichen Einzug ins Straßenbild der Städte gehalten. Kaum lugt die Sonne hervor, muss man dort jetzt allüberall nackte Männerwaden blitzen sehen. Käsig bleiche und obszön gebräunte, scham behaarte und kraus bepelzte, spackelig pickelige und wulstartig geäderte, fette, schuppige und eklig tätowierte. Das ganze fiese Programm des Gantenbeins eben, wie man diesen im korrekten Bekleidungsfall gnadenhalber von Hose und Kniestrumpf bedeckten männlichen Körperteil heißt.

Angesichts des textilphilosophischen Axioms, dass Kleider Leute machen, fragt man sich selbstverständlich und erst recht bei diesem jämmerlichen Kleidungsstück: Was genau macht eine Dreiviertelhose aus den Leuten? Wie sind erwachsene Männer drauf, die freiwillig solche Trottel- und Kleine-Jungens-Hosen tragen? Und sind Männer in wie abgeschnitten, um nicht zu sagen, kastriert wirkenden Beinkleidern tatsächlich nur ein ästhetisches Problem? Oder weisen deren Träger damit nicht viel mehr auf ein ernstes, möglicherweise sogar volksseelisches Problem hin? Und überhaupt: Warum gibt es so viele Deutsche, die bar jeder Not in solche Notstandshosen steigen?

Genauso muss man die Dreiviertelhose wohl am ehesten bezeichnen. Als Notstands- oder auch Hochwasserhose. Welche symbolische Signalkraft aber strahlt von einem Land ab, dessen männliche Bewohner in so großer Zahl ebensolche Hosen tragen? Für uns Hosenpsychologen ist das keine Frage: Die leben alle in der unterbewussten Furcht vor einer Art Hochwasser und jedenfalls in der bangen Erwartung, noch in diesem Sommer knietief durch irgendeine Scheiße waten zu müssen. Offenhosiger ist das Phänomen der Dreiviertelherrenmode derzeit nicht zu erklären. FRITZ TIETZ