: Sigmar lass das Nörgeln sein, komm herunter, reih dich ein!
Aua, die An-Gie-Dos kommen (II): Die Front verläuft künftig nicht mehr zwischen rechts und links, sondern zwischen Schwätzern und Denkern. Die karrieristischen Anhänger von Angie M. und Guido W. plappern nach, Neokonservative wie Frank Schirrmacher denken vor. Die Chance der Linken: Nicht mit Ersteren hadern, sondern mit Zweiteren streiten
VON PATRIK SCHWARZ
„Aua, die An-Gie-Dos kommen!“ (taz v. gestern) – was bisher geschah: Rot-Grün hat abgewirtschaftet. Merkel und Westerwelle übernehmen die Macht in Deutschland. Sie haben kein Programm? Doch – eine machtvolle neue Ideologie, die „Flexibilität“ als neokonservatives Staatsziel und „Flexibilisierung“ als Regierungsprogramm. Ihre ideologische Garde: die Generation An-gie-do (Angela+Guido=An-Gie-Do), zwischen 40 und Ende 50. Die Linke, intellektuell träge, im Wachkoma. Die Diagnose: Wiederbelebung möglich durch Schockeffekt – den Fechtkampf mit der Generation F, verkörpert durch FAZ-Chefredakteur Frank Schirrmacher.
Im letzten Jahrzehnt hatten die Guidos und Angelas kein Programm, das diesen Namen verdient hätte. Sie wollten nach oben, denn da war sicher die Aussicht besser – und besser gesehen würde man auch. Deshalb war die Generation An-Gie-Do in den 90er-Jahren so schwer zu fassen. Ihre Parolen klangen wie ein Slogan für Wella, den Shampoo-Hersteller: „Für ein frisches, selbstbewusstes, pragmatisches Deutschland!“ Pragmatismus! Fast so gut wie Flexibilität.
Ein Teil der gut geföhnten Arglosigkeit war Programm, um sich abzugrenzen von so linken Parteien wie SPD und Grüne. Alleine schon deshalb liebten sie alle Parolen, in denen „Frischer Wind für …“ vorkam. Doch zusehends erkannten die Nachwuchskräfte von Union und FDP, also die Eckart von Klaedens und Philipp Röslers, die Schwäche ihrer Haltung. Wähler gewinnt nicht, wer die eigene Karriere als Zentralanliegen vor sich herträgt. Den An-Gie-Dos wurden ihre Wella-Slogans fad.
Und so erfanden sie sich eine politische Haltung: die Flexibilisierung. Damit kann man gar nichts falsch machen, es klingt immer noch nach einer Restbrise frischen Windes, und zu ihnen selbst, fanden die Jungdynamiker, passte das Konzept doch auch ganz gut: Ist doch ’ne feine Sache, mit Flexibilität landet man immer auf der richtigen Seite, im Leben und der Politik. Vor allem aber ist das Konzept die ideale Brechstange gegen die Verkrustungen durch ihren Lieblingsfeind: „Die 68er“ und alle Jüngeren, die dazu werden, die … ja, was? Na, eben nicht pragmatisch sein wollen.
Und weil die An-Gie-Dos das Debattieren ohnehin nicht so gerne haben, ist ihr Gestus in der politischen Kontroverse am liebsten der eines gepflegten „Na, dass es SO nicht weitergehen kann, ist doch wohl offensichtlich!?“
Genau dafür ist die Republik nach Rot-Grün empfänglich. Erleichtert wird den Neo-Kons ihr Erfolg freilich durch eine erlahmte gesellschaftliche Linke in Deutschland. Von der viel gerühmten Kritik- und Diskursfähigkeit der Linken ist seit den Tagen der Frankfurter Schule, von Horkheimer bis Adorno, nicht mehr viel geblieben.
Der beste Beweis: der Autor dieser Zeilen. Er hat von keinem der beiden angeblichen Großdenker auch nur ein Buch gelesen. Dass er immerhin von ihrer Existenz weiß, hat nicht viel zu besagen. Es ist nicht mehr als Günther-Jauch-Wissen von links. Frankfurter Schule?
a) Ort eines Geiseldramas vor vier Jahren
b) soziologische Forschungsrichtung der alten BRD
c) Sammelbezeichnung für Äppelwoi ond ale Worscht.
Die Kontroverse der nächsten Jahre wird weniger entlang des Schemas von rechts und links ausgetragen werden. Der Konflikt verläuft vielmehr entlang einer unsichtbareren Achse quer durch Altersgruppen, Milieus und Parteianhänglichkeit: Die Front verläuft zwischen Großsprechern und Großdenkern, zwischen Schwätzern und Grüblern.
Darin liegt die Chance der Linken, die als Gesellschaftsdenker den Konservativen stets überlegen gewesen sind, weil sie im Ansatz groß dachten. Seit Marx und Engels, ja seit Hegel sind linke Konzepte im weitesten Sinne gedankliche Großbaustellen. Das hat ihre Theoreme immer schon anfällig gemacht für den so einfachen wie berechtigten Einwand: Ja, ist denn das so?
Doch immer wenn sie den Zweifel der Realität am Modell aufnahm und produktiv wendete – die Dialektik lässt grüßen – war sie die überlegene, weil – haha – flexiblere Denktradition der Geistesgeschichte. Einen Teil dieser Tradition opferte sie in den Sektiererkämpfen der Siebziger, den Rest verlor sie im Schröder’schen Pragmatismus der Neunzigerjahre. Jetzt ist wieder Zeit für große Entwürfe. Nur so ist der gemeine Neo-Kon zu schlagen, denn die Gesellschaftsanalyse, wie gesagt, liegt ihm nur begrenzt.
Weil aber in den Jahrgängen zwischen 1950 und 1965 linke Großdenker fehlen, wird die Kluft zwischen Schwätzern und Grüblern derzeit exemplarisch verkörpert durch zwei Exponenten der neokonservativen Tradition, wenn auch zwei sehr unterschiedliche: Guido Westerwelle und Frank Schirrmacher.
Heißt das, die Linke kann sich wirklich nicht mehr selber retten? Jedenfalls nicht mehr in der generation gabriel (die mit dem kleinen g). Es ist das bittere Schicksal des dicken Sigmar, wobei, darauf sei hingewiesen, dick sein an sich keine Schande mehr ist im schwarz-gelben Deutschland. Angie selbst hat Kilos zugelegt mit den Jahren, Frank war immer schon ein Moppele, und die CDU-Nachwuchshoffnung Eckart von Klaeden müsste dringend aufs Laufband.
Politisch aber schaut die generation gabriel alt aus, so jung sie auch sein mag (und sich fühlt!). Ihre stärkste Wirkung könnte sie noch entfalten, wenn sie Opposition machte, aber echte, also nicht bloß im Bundestag, sondern in Deutschland.
Dafür freilich müssten die linken Dickerles dieses Landes, der Autor gehört durchaus dazu, ihrem Grundübel beikommen, jener tranig-traurigen Mischung aus Frust und Faulheit. „Sigmar, lass das Nörgeln sein, komm herunter, reih dich ein.“
Vertreter der Generation F gibt es links wie rechts. Immer sind sie eine Provokation für das eigene Lager – dafür aber anschlussfähig über Grenzen von Generationen oder Milieus hinaus. Die Generation F ist der Generation An-Gie-Do überlegen, weil sie über andere ideelle Ressourcen verfügt.
Bei ihr ist eine Denkbewegung zu beobachten, die weder starr noch schematisch ist, tatsächlich weniger ideologisch festgelegt, als es auch der linksliberale Diskussionsmainstream manchmal ist, und damit auch zu überraschenden Einsichten, offenem Selbstzweifel und verwegenen Querverbindungen in der Lage.
Gehäuft scheinen die F-Grübler in Schirrmachers Biotop zu blühen, etwa der furiose FAZ-Universal-Rezensent Gerhard Stadelmeier oder bei der Welt ein Eckart Fuhr und Johann Michael Möller, beides ehemalige Frankfurter.
Und doch durchschneidet die Achse zwischen Schwätzern und Denkern Lager-, Alters- und Gendergrenzen. So sind selbstverständlich auch Frauen dabei, die Autorin und Konzeptkünstlerin Karin Wieland etwa, die Gesellschaftsanalytikerinnen Susanne Gaschke und Sabine Rückert, oder liberale Geister wie der Links-Avantgardist Nils Minkmar und der Vordenker eines popkulturellen Politikbegriffs Claudius Seidl (die beiden Letzteren unter den Fittichen von Schirrmachers Sonntagszeitung).
Gemeinsam ist den F-Denkern, dass sie wie die Linken alter (Frankfurter) Schule über einen Rahmen eigener Maßstäbe verfügen, den sie anlegen können, ohne sich damit die Sicht auf die Phänomene zu verstellen, die sie zum Gegenstand ihrer Betrachtungen machen. Sie sind also nicht überideologisiert, wie die 68er es oft waren, aber auch nicht unterideologisiert wie ihre selbst erkorenen Erben aus der Generation An-Gie-Do.
In linker Terminologie gesprochen heißt das, die Männer und Frauen sind konfliktfähig – nicht, weil man sich einig wäre, nicht einmal weil man Grundannahmen teilen muss. Konfliktfähig ist, wer streiten kann mit Worten und Ideen, um Worte und Ideen. Und mit der Generation F, dieser idealtypischen, lagerübergreifenden, kann man streiten, erbittert bis aufs Blut, aber am Ende fällt kein Tropfen auf den Teppich, denn beide Seiten trennen sich im Respekt voreinander.
Aus diesem Grunde ist ihnen das pubertäre 68er-Bashing der An-Gie-Dos zu öde, und sie setzen, wie mancher Linke selbst, eher auf eine Renaissance linker Denk- und Kritiktraditionen. Unter lauter Angies und Guidos jedenfalls würde sich ein Frank Schirrmacher mindestens so sehr langweilen wie auf einem Kadertreffen der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD).
Was also eint die Kinder der Generation F? Sie sind, wenig überraschend, von ihrem Hintergrund her oft eher Studenten qualitativ orientierter Disziplinen denn quantitativer. Sie lieben den Reiz zu schocken oder zumindest zu verblüffen, ohne dabei aus der Form zu fallen, und sind darin eher britisch als deutsch. Sie teilen aus und mühen sich, mit Stil einzustecken, sie sind also Paradiesvögel mit hartem Schnabel und buntem Gefieder, sie sind die deutschen Dandys des 21. Jahrhunderts.
Nur dass die männlichen dieser Paradiesvögel in Anzug gerne mehr flattern, als bei ihrem ohnehin grellen intellektuellen Federkleid notwendig wäre, ist manchmal reichlich anstrengend. Aber, nun gut, das legt sich vielleicht im Alter. Und 45 Jahre, davon ist inzwischen auch der Altersforscher Frank Schirrmacher überzeugt, 45 ist wirklich kein Alter.