Die Diamanten in der Entwicklungsliga

Berlin Thunder kann kommenden Samstag im Finale gegen Amsterdam zum vierten Mal die World Bowl der NFL Europe gewinnen. Damit würden die Berliner zum erfolgreichsten Team in der Übungsliga für den amerikanischen Markt

VON THOMAS WINKLER

Irgend was scheinen sie richtig zu machen, da auf dem Hueppe-Sportplatz am Olympiastadion, wo Chefcoach Rick Lantz seine mehr als 50 Football-Profis per Trillerpfeife durchs Training dirigiert. Zum vierten Mal in fünf Jahren hat Berlin Thunder die World Bowl erreicht und sollte auch dieses Endspiel – wie die drei zuvor – gewonnen werden, wäre die Berliner Abteilung die – zumindest sportliche – erfolgreichste in der Geschichte des europäischen Ablegers der National Football League (NFL). Nur Thunder und die Frankfurt Galaxy haben den World Bowl bislang jeweils dreimal gewonnen.

Das gestrige Ergebnis des zehnten und letzten Saisonspiels gegen die Centurions aus Köln (nach Redaktionsschluss) war bedeutungslos, der Endspieleinzug stand schon seit vergangener Woche fest – ebenso wie der Gegner, die Amsterdam Admirals. Am Samstag wird in der neuen, schmucken Arena in Düsseldorf ausgespielt, wer die mit 24 Diamanten besetzten Siegerringe mit nach Hause nehmen darf.

Zu Hause, das ist für die allermeisten der Spieler immer noch Amerika. Die US-Legionäre werden nach der World Bowl auf dem schnellsten Wege in die Heimat jetten. Um nach Monaten ihre Familien wiederzusehen und in der Hoffnung, dort einen Platz im Kader eines echten NFL-Teams zu ergattern. Die Saison in der vom großen Bruder NFL mittlerweile offiziell so genannten „Entwicklungsliga“ NFL Europe verstehen die meisten Beteiligten vornehmlich als Durchlauferhitzer für größere Aufgaben. Hier spielt man, um Erfahrung zu sammeln und auf sich aufmerksam zu machen.

Das gilt auch für Berlins Quarterback David Ragone, der in dieser Saison einige neue Rekorde aufstellte und sechs Spiele lang keine einzige Interception, also einen vom Gegner abgefangenen Pass, warf. „Mein Ziel war es in erster Linie“, so der von den Houston Texans nach Europa geschickte Spielmacher, „besser zu werden.“ Sollte nächstes Wochenende der Titel dazu kommen, nimmt man das als Dreingabe eben mit. Das gilt selbst für einen der nur zwei deutschen Spieler im Team von Thunder. Auch Defensivspezialist Christian Mohr ließ verlauten: „Wenn diese Saison vorbei ist, ist es mein Ziel ins Trainingslager nach Seattle zu gehen und einen Platz im Kader zu erobern.“ Bei den Seattle Seahawks verbrachte Mohr bereits die vergangene Spielzeit der NFL, wenn auch nur in deren so genannter Practice Squad, die jedes NFL-Team als Übungseinheit und Spielerreservoir unterhält. Aber: So nah dran an der großen Show war bislang kein Deutscher, und wenn Mohr weiter solche Fortschritte macht wie in den letzten beiden Jahren, hat er gute Chancen im kommenden Herbst endlich einmal in der echten NFL aufzulaufen.

Von den Umsätzen, die mit Football in Nordamerika gemacht werden, kann der Ableger der reichsten Profisportliga der Welt auf dem alten Kontinent nur träumen, aber in dieser Saison ging es nach Jahren der Stagnation immerhin wieder bergauf. Die Konzentration auf den deutschen Markt, wo mittlerweile fünf der sechs Teams stationiert sind, scheint erfolgreich zu sein. 89.000 sahen die drei Begegnungen des neunten Spieltags, eine neue Bestmarke. Insgesamt wird die NFL Europe wohl so viele Zuschauer zählen wie nie zuvor. Auch Berlin Thunder konnte den Schnitt beständig steigern, seit man vor drei Jahren ins Olympiastadion umzog. In diesem Jahr kamen noch einmal durchschnittlich 1.000 Fans mehr als 2004. Dazu beigetragen hat sicherlich auch der stetige Erfolg des Teams.

In Berlin, so das Credo von Teammanager Michael Lang, liebt man nur Gewinner. Einen solchen haben er und seine Mitarbeiter der Stadt in den vergangenen Jahren trotz wechselnder Spieler und Trainer meist geliefert. Nun ist das Football-Team als beständiger Faktor im Berliner Sportkalender etabliert. Noch gibt es allerdings Abstand zu Hertha, den Eisbären und Alba, aber zumindest ist man mittlerweile das erste europäische Football-Team mit einer eigenen Briefmarkenkollektion: Der private Briefbeförderer PIN AG brachte unlängst fünf Briefmarken im Schmuckbogen auf den Markt, Ersttagsstempel inklusive.

Die Erfolge auf dem Spielfeld kamen in dieser Saison des Öfteren allerdings eher glücklich zustande. Im vergangenen Jahr, dem ersten von Rick Lantz in Berlin, marschierte die Mannschaft noch souverän durch die Liga und verlor nur ein einziges Spiel. Diesmal gewann der Tabellenführer manche Begegnung erst in letzter Minute und trotz Unterlegenheit in allen entscheidenden Statistiken – so auch das letzte Aufeinandertreffen mit Endspielgegner Amsterdam: Da musste Verteidiger Jermaine Mays schon in höchster Not einen Pass der Admirals abfangen und 100 Yards übers gesamte Feld tragen, um sieben Sekunden vor Schluss den 27:16-Erfolg sicher zu stellen. Das Hinspiel hatte Amsterdam ähnlich knapp gewonnen. Der Ausgang der World Bowl ist also völlig offen.