Peter Unfried über CHARTS
: Da muss noch Druck drauf

Wahlkampf-Tagebuch (II): „Apply Some Pressure“, ein Wahlhymnenvorschlag für Fischer und Bütikofer

Maxïmo Park kommen aus Newcastle und werden gelobt als die aufregendste oder zweitaufregendste der neuen Gitarrenrockbands aus England. „Apply Some Pressure“ ist jedenfalls WIRKLICH die Single der letzten paar Wochen. Großer Autoradiosong. Das Seltsame ist: Wann immer das Ding läuft (und es läuft oft), muss ich an die Grünen denken. „What happens when you lose everything? You just start again, you start all over again!“

Eindeutig Trostrock. Aber ist es nicht vielleicht sogar mehr? Der Refrain beschwört Folgendes: „Apply some pressure if you lose some pressure“ – mach Druck, wenn du Druck verlierst. Wäre das nicht eine Wahlkampfhymne, mit der man Dynamik und Willen symbolisieren könnte? Von der Emotionalität gar nicht zu reden. Eine interessante Vorstellung: Fischer, Bütikofer, Roth und Göring-Eckardt, wie sie im Wahlkampf auf den Plätzen und in den Zelten gemeinsam „Apply some pressure if you lose some pressure!“ röhren.

Hm. Das ist selbstverständlich eher was für zornige junge Leute. Wie Ströbele. So gesehen werden die Listen-Grünen ja wohl doch eher wieder zu Fleetwood Mac und „Don’t stop“ schunkeln. „Don’t stop thinking about tomorrow, don’t stop, it’ll soon be here.“ Das galt Mitte der 70er. Das galt für Clinton. Das gilt immer. Letztlich ist das ja ein Manifest der Nachhaltigkeit.

Habe das grade noch mal bei einem Latte Macchiato testgehört. Es macht tatsächlich optimistisch. Vor allem bei paralleler Lektüre der Feuilletons, die derzeit mit dem Sinnieren über Merkel quälen. Zum Beispiel über ihre lagerübergreifenden Strategien, etwa jene, die urbane, aufgeklärte Mittelschicht mit schwulen, gut angezogenen Landeschefs „an sich zu ziehen“. Wer die CDU wirklich erfahren möchte, sollte mal dahin gehen, wo es noch mehr wehtut, sagen wir: in eine Bezirksversammlung in Berlin-Kreuzberg zur Frage einer Straßenumbenennung. Hier sitzen alte Männer in vermutlich seit den Siebzigern durchgeschwitzten Anzügen. Es gibt weniger zu denken, dass, sondern wie sie aus Rudi Dutschke einen Terroristen machen wollen: mit dem Forschungsstand, den Josef Bachmann im April 1968 gehabt haben muss. Den steigern sie auf abenteuerliche Weise zu einer Anklage gegen die Regierenden in Berlin, die sie auf ein einziges Wort komprimieren: „Massenarbeitslosigkeit.“

Das Wort ist wahr, klar, aber sie wiederholen es so lange, bis es so hohl klingt, wie sie es meinen. Und: politische Kultur? Gesellschaftliche Orientierung? Ehrlich gesagt: Man ist es wirklich leid, dass man nichts mehr voranbringen wollen darf, ohne dass irgendeiner schreit, man solle sich „in diesen ernsten Zeiten“ lieber um die „Massenarbeitslosigkeit in Deutschland“ kümmern.

Okay, die aktuelle Platte der Kaiser Chiefs, dieser anderen aufregendsten oder zweitaufregendsten neuen Gitarrenband aus England, heißt „Employment“. Aber was machen die jungen deutschen Konservativen? Arbeiten mit Transparenten, auf denen sich Populismus und Substanzlosigkeit mit Legasthenie paaren.

Die Junge Union, immerhin, entschuldigt sich für fehlende Grundkenntnisse in Rechtschreibung. Sie hätten „einen 68er-Lehrer gehabt“. Es war das einzige Mal in etwa drei Stunden, dass man ansatzweise den Eindruck hatte, auf einem gemeinsamen Planeten zu leben.

Sicher muss man bedenken, dass Berlin besonders weit hinterm Mond liegt und die CDU in Kreuzberg-Friedrichshain eine Splitterpartei ist. Dennoch: Binnen Sekunden relativiert sich in so einer Versammlung die Vorstellung einer postideologischen Annäherung der schwarzen und grünen „Milieus“ genauso wie das geschwollene Geschreibe über Merkels Strategien. Unbedingt ausprobieren.

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Noch zwei potenzielle, personalisierte Wahlkampfhymnen: „Karl, der Käfer, wurde nicht gefragt, man hatte ihn einfach fortgejagt.“ Für Bärbel Höhn. Und für Fischer? Selbstverständlich die FC-Bayern-Hymne: „Forever Number One“.

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