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Archiv-Artikel

Vielfalt muss erkämpft werden

Die Unesco-Konvention zur kulturellen Vielfalt soll den Erhalt von Kulturerbe fördern und den Widerstand gegen den Liberalisierungsdruck stärken. Nun droht sie zu scheitern

Die betroffene US-Industrie will sich den neuen Welt-Normen dagegen freiwillig anschließen

Die Unesco-Konvention zur kulturellen Vielfalt ist auf falschem Wege, wenn nicht sogar bedroht. Und das, obwohl viele Beobachter glauben, die Annahme des Papiers, das in seiner Wichtigkeit dem Kioto-Protokoll kaum nachsteht, sei eine reine Formsache.

Eine zwischenstaatliche Arbeitsrunde, die im Februar in Paris tagte, hat zwar viele Fortschritte gebracht – aber auch viele Fragen aufgeworfen. Dennoch kann diese Vorarbeit entscheidend für den Fortgang des Prozesses sein. Seit der Universellen Erklärung der kulturellen Vielfalt seitens der internationalen Gemeinschaft vom 2. November 2001 ist Beachtliches geleistet worden. Werden die Ergebnisse jetzt nicht zügig umgesetzt, könnte dies in einigen Monaten zu einem Misserfolg mit schweren Konsequenzen führen. Die Zeit drängt. Im Oktober sollen auf der 33. Generalkonferenz der Unesco die Ziele zur kulturellen Vielfalt verabschiedet werden.

Die Konvention soll ein international bindendes rechtliches Instrument schaffen, welches den verschiedenen Akteuren – multilateralen, regionalen, nationalen, lokalen, professionellen, gewerkschaftlichen, assoziativen … – dazu dient, die kulturelle Vielfalt in ihren Ländern und Regionen zu verteidigen und zu schützen und in allen ihren Formen zu fördern und weiterzuentwickeln. Sie soll für diese Akteure nicht allein ein rechtlicher Bezugspunkt sein, sondern souveränen Staaten eine unabhängige Kulturpolitik ermöglichen, die Entwicklung regionaler Strategien zur Erhaltung des Kulturerbes fördern und den Widerstand gegen den Liberalisierungsdruck in der Kulturindustrie stärken.

Dieser Schutz ist notwendig: Die Vereinigten Staaten von Amerika etwa, größte Widersacher der Konvention, schließen derzeit mit vielen Ländern (Marokko, Zentralamerika etc.) im Schnelllauf bilaterale Freihandelsabkommen ab. Dadurch geben diese Länder auch den Schutz ihrer Kulturindustrie auf. Vor diesem Hintergrund ist eine Implementierung der Unesco-Konvention entscheidend. Deren Bedeutung vermindert sich nicht dadurch, dass die Welthandelsorganisation (WTO) versucht, die Doha-Runde wiederzubeleben, in der die Entwicklungsländer einen freieren Marktzugang zu den Industrienationen fordern.

Doch warum besteht dann die Gefahr des Scheiterns? Das liegt vor allem an der starren Haltung der USA. Die Verhandlungen im Februar waren durch die verschiedensten Behinderungen seitens der USA gekennzeichnet. Die Bush-Regierung will das Projekt offensichtlich substanziell entleeren, wenn sie es schon nicht verhindern kann.

Es fragt sich jedoch, ob die Konvention überhaupt mit einem – dazu noch so wichtigen – Land verhandelt werden kann, wenn dieses die ökonomische und kommerzielle Dimension von Kultur, wie sie die Unesco diskutiert, nicht einmal im Ansatz sieht. Kann mit den Vereinigten Staaten verhandelt werden, obwohl sie das zukünftige Abkommen anderen internationalen Abkommen untergeordnet sehen wollen, insbesondere denen im wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich (WTO und Wipo, der Weltorganisation für geistiges Eigentum)? Obwohl dies zur Folge hätte, das die Konvention weder autonom noch bindend sein würde? Ist es überhaupt notwendig, 18 Monate nach ihrer steifen und arroganten Rückkehr in die Unesco alles zu tun, um die USA in das Abkommen zu integrieren? Und das auch noch unter der Prämisse eines Verhaltens, das US-Eigeninteressen exklusiv gegenüber dem Rest der Welt einfordert – siehe den Streit um den internationalen Strafgerichtshof oder das Kioto-Protokoll?

Die Hoffnung auf eine gütliche Einigung ist vordergründig nicht ganz verloren. Bis zum 4. Juni tagt eine dritte, zu Beginn nicht vorgesehene zwischenstaatliche Runde. Doch es ist zu erwarten, dass die große Mehrheit der in der Unesco vertretenen Staaten neue Konzessionen an die USA und ihrem Club von Lakaien machen, dass sie in vergeblicher Hoffnung einen Text unterschreiben, den sie grundlegend ablehnen. Diese Konzessionen werden notwendigerweise schädlich, wenn nicht sogar verhängnisvoll für die zukünftige Konvention sein. Dabei ist nicht mal gesagt, ob die USA dann auch unterzeichnen werden.

Ein Lösung könnte sein, die USA bewusst außen vor zu lassen. In diesem Falle werden die Errungenschaften dieses Projektes bewahrt. Das Opfern einiger Unterschriften für die Sache wird keine großen Wellen schlagen. Vor dem Hintergrund der Erfahrung des Kioto-Protokolls bewertet, hat dies die Abwesenheit des „großen Anderen“ auf der Liste der Unterzeichner deutlich entdramatisiert.

Und noch etwas spricht für diese Strategie: Wenn die US-Regierung tatsächlich weiterhin hartnäckig die Unterzeichnung dieses Protokolls verweigern sollte, hat die betroffene US-Industrie schon angekündigt, sich den neuen Welt-Normen freiwillig anzuschließen. Ihre Vertreter begründen dass mit der Einsicht, dass auf der internationalen Bühne wohl kaum zwei Standards der industriellen Umweltverschmutzung existieren könnten. Im Klartext: Auch wenn das Protokoll nicht von allen Staaten anerkannt wird, die darin enthaltenen Regeln werden sich automatisch durchsetzen, weil der Großteil der ökonomischen Akteure nach ihnen handelt. Das wird eine Schlüsselrolle bei der Implementierung der Konvention spielen. Wenn man dieser Logik folgt, dürfte die eventuelle Nichtunterzeichnung der Konvention der kulturellen Vielfalt durch die USA ohne ernste und lang anhaltende negative Auswirkungen auf die effektive Umsetzung der Konvention und ihrer effektiven Resultate sein.

Die Umsetzung einer von den USA mitgetragenen „schwachen“ Konvention (also nicht bindend nach internationalem Recht und vor allem dem bereits geltenden Recht der WTO und Wipo unterworfen) wäre das schlimmste mögliche Szenario für diejenigen, die sich seit Jahren für kulturelle Vielfalt einsetzen. Insbesondere würde dies all jene stützen, die ohne Bedenken ihre hegemoniale kulturelle Macht einsetzen. Jack Valenti, Ex-Geschäftsführer des Verbands der US-Filmindustrie, spottet überall mit der Provokation: „Hollywood, das ist die kulturelle Vielfalt.“ Aus diesem Grund sollte man sich in keinem Falle mit der eventuellen Unterzeichnung „irgendeiner Konvention“ zufrieden geben. Das, was zählt, ist eine Konvention, die rechtlich bindend auf der Ebene der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen internationalen Beziehungen umgesetzt werden kann.

Die US-Regierung will die Konvention substanziell entleeren, wenn sie sie nicht verhindern kann

Dazu ist es zwingend nötig, dass sich die internationale Zivilgesellschaft in einer umfassenden Aktion für die Annahme einer bindenden Unesco-Konvention der kulturellen Vielfalt einsetzt. Sie muss den verschiedensten Bedrohungen, welchen die Konvention heute in vielen Ländern ausgesetzt ist, schlagkräftig entgegentreten.

LOUISE BEAUDOIN

FRANÇOIS DE BERNARD