: Dokumente des Grauens
FOLTER Gegen ihren erklärten Willen ermittelt die Obama-Regierung nun gegen CIA-Mitarbeiter wegen Missbrauch von Gefangenen
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
Was viele Kritiker der Regierung von US-Präsident George W. Bush vermutet haben, liegt nun greifbar, auf 109 Seiten plus über hundert Seiten Anlagen dokumentiert, auf dem Tisch: Terrorverdächtigen, darunter Khalid Sheikh Mohammed, einem mutmaßlichen Verantwortlichen der Anschläge vom 11. September 2001, wurden mit Scheinhinrichtungen und simulierten Ertränken gefoltert. Außerdem wurde ihnen angedroht, dass ihre Kinder umgebracht oder ihre Mütter missbraucht würden.
Dass CIA-Mitarbeiter mit dem Einverständnis des US-Justizministeriums in der Vergangenheit Gefangene misshandelt und gefoltert haben, konnte längst an Einzelfällen bewiesen werden. Wie der am Montag in Washington veröffentlichte CIA-Report aus dem Jahr 2004 jedoch zeigt, gingen die Verhörer dabei weiter, als selbst das Justizministerium genehmigt hatte.
In dem einst routinemäßig vom damaligen CIA-Generalinspekteur John Helgerson verfassten und dann lange unter Verschluss gehaltenen Bericht wird dies scharf kritisiert. Die CIA habe „unerlaubte“ und „inhumane“ Praktiken bei mutmaßlichen führenden Terroristen angewandt.
Gleichwohl wurde bei der Veröffentlichung über die Hälfte des Textes geschwärzt, darunter die Abschnitte über das Training der Verhörleiter oder die „medizinischen Richtlinien“ sowie 24 durchgehende Seiten im mittleren Teil, bei denen sogar im Inhaltsverzeichnis die Kapitelüberschriften getilgt wurden.
Justizminister Eric Holder kündigte am Montag an, dass ein Sonderstaatsanwalt die Foltervorwürfe gegen die CIA sowie gegen Mitarbeiter einiger, für die US-Regierung tätiger Sicherheitsfirmen wie Blackwater untersuchen soll. In etwa einem Dutzend Fällen soll nun geprüft werden, inwieweit Verhörspezialisten bei Verhören gegen Gesetze verstoßen haben. Zum Leiter der Ermittlung berief er den Staatsanwalt John Durham. Dieser solle auch die Hintergründe der Zerstörung von Videobändern durch die CIA untersuchen, auf denen angeblich die Anwendung von brutalen Verhörmethoden zu sehen war.
Die Ereignisse vom Montag markieren eine Art Kehrtwende der Regierung von Präsident Barack Obama. Bislang hatte sich dieser hinsichtlich einer juristischen Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen der Bush-Ära zögerlich bis ablehnend gezeigt. Er wolle nach „vorn schauen“ statt zurück, ließ er wissen. Im April hatte er etwas halbherzig verfügt, dass sein Justizminister endgültig entscheiden solle, ob gegen CIA-Mitarbeiter ermittelt werden solle. Die Veröffentlichung des nun vorliegenden CIA-Berichts hatte Obama abgelehnt. Nachdem die Bürgerrechtsorganisation ACLU jedoch auf die Veröffentlichung klagte, ordnete ein Gericht die Herausgabe an. Die Veröffentlichung aber lasse der Regierung keine andere Wahl, als die Vorwürfe zu untersuchen, sagte nun Justizminister Holder.
Obama ließ unterdessen aus seinem Feriendomizil verlauten, eine Spezialeinheit für Vernehmungen mutmaßlicher Terroristen gründen zu wollen. Die Sondereinheit werde künftig bei der US-Bundespolizei FBI angesiedelt sein und aus Spezialisten verschiedener Bundesbehörden bestehen, hieß es aus dem Weißen Haus. Insgesamt aber wolle Obama „nach vorn und nicht zurückzublicken“. Zugleich hieß es, der Justizminister und Generalstaatsanwalt müsse unabhängig entscheiden, ob jemand gesetzwidrig gehandelt habe oder nicht.
Kritiker der Obama-Regierung, die ihr schon seit Monaten vorwerfen, die Vergehen der Bush-Regierung stillschweigend zu akzeptieren, fordern eine juristische Aufarbeitung. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte, dass es bei weltweit 350 dokumentierten Fällen von Missbrauch an Gefangenen, in die rund 600 US-Mitarbeiter verwickelt gewesen sein sollen, keine einzige Anklage gegen CIA-Mitarbeiter gegeben habe.
David Cole, progressiver Juraprofessor an der Georgetown University, begrüßte die angekündigten Ermittlung als „wichtigen“ ersten Schritt. Allerdings dürften sich diese nicht aus politischen Gründen auf die unteren Ränge der CIA beschränken. Vielmehr müssten Verantwortlichen „und zwar die ganze Entscheidungskette des Justizministeriums hoch, bis hinauf zum damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney“, zur Rechenschaft gezogen werden.
Cheney selbst rechtfertigte am Montag nochmals die Verhörmethoden. Ein großer Teil der Erkenntnisse über al-Qaida seien auf diese Weise gewonnen worden, was weitere Terroranschläge verhindert hätte.