Qualität am Feierabend

Zum Start des neuen Landtags wirbt der Ex-Abgeordnete Stefan Grüll (FDP) für eine große Parlamentsreform

Bei meinen ersten Schritten als Abgeordneter witzelten altgediente Kollegen, nichts sei so geheim wie eine öffentliche Sitzung des Landtags. Eine Übertreibung? Mit Blick auf die vergangene Legislaturperiode bin ich mir nicht mehr sicher. Abgesehen von einem zu schnell überwundenen PISA-Schock, dem Dauerbrenner „Steinkohlesubventionen“ und ein bisschen Streit über die Höhe der Rundfunkgebühren, dürfte selbst dem landespolitisch besonders interessierten Zeitungskonsumenten keine Debatte in nachhaltiger Erinnerung geblieben sein.

Dabei haben sich 231 Abgeordnete in 24 Ausschüssen redlich bemüht: Mag auch Brüssel oder Berlin zuständig sein, nichts konnte uns davon abhalten, auch dann parlamentarische Anfragen, Gesetzentwürfe vorzulegen und Pressemitteilungen abzusetzen. Ja, die Leser, unsere Wähler, haben viel verpasst. Wir, ihre Landtagsabgeordneten, hätten ihre Aufmerksamkeit verdient gehabt.

Wer weiß noch, dass der Landtag die Kraft aufgebracht hat, sich selbst zu verkleinern?! Von 231 auf nur noch 181 Vollzeit-Parlamentarier. Immerhin! Und es waren die Volksvertreter in NRW, die eine als vorbildlich geltende Reform der Abgeordnetenversorgung auf den Weg gebracht haben.

Schauen Sie hin, was auf Landesebene geschieht! Ich verspreche dem Auditorium unterhaltsame Politikrituale und polemische Fensterreden – live aus dem Plenum. Und es gibt auch eine andere Realität hinter den Vorurteile bestätigenden Kulissen: Die Ausschusssitzungen sind wohltuend von Pragmatismus und Lösungsorientierung bestimmt.

Befreien wir die parlamentarische Arbeit doch von ihren Ritualen. Freie Rede im Plenum statt gestanzter und oftmals nur schlecht abgelesener Parteitagsrhetorik! Ein Parlament voller Abgeordneter, die auch außerhalb des politischen Biotops ihren Mann oder ihre Frau stehen können und dies auch schon bewiesen haben! Gesucht werden also PolitikerInnen, deren gesellschaftliches Jahreshighlight nicht bereits im Februar hinter ihnen liegt, wenn sie auf der heimatlichen Prunksitzung offiziell mit dreimal Helau oder Alaaf begrüßt werden. Konzentriert sich dieses Landesparlament dann auch noch auf seine Kernaufgaben – insbesondere in den über die Zukunftschancen unserer Kinder entscheidenden Bereichen von Bildung und Wissenschaft – ist eine Parlamentsreform vorstellbar, die nicht mehr auf den komfortabel alimentierten Vollzeitparlamentarier setzt.

Kompetenz und Konzentration sind die Schlüsselbegriffe auf dem Weg zu einer Halbierung der Sitzungswochen, einer Halbierung der Anzahl der Ausschüsse, einer neuerlichen Reduzierung der Abgeordneten auf denkbare 101 Mitglieder. Auch wenn ich angesichts der Komplexität der zu behandelnden Themen eines Landesparlamentes nicht von einem Feierabendparlament spreche, so könnte dieser Landtag eine Beratungssystematik haben, die es Berufstätigen erlaubt, wirkliches Leben und politisches Mandat zu verbinden.

Welch Perspektive: Das Ansehen des Parlamentes stiege mit der Qualität und Dynamik der dort getroffenen Entscheidungen, bei gleichzeitiger Entlastung der Steuerzahler. Ich bin mir sicher, für diesen Landtag könnten auch Sie sich begeistern – als Zeitungsleser, möglicherweise eines Tages sogar einmal als Abgeordnete oder Abgeordneter. STEFAN GRÜLL