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Archiv-Artikel

Die Straßenrepräsentanten und ihre Kritiker

Wer darf was hören? Das HipHop-Label Aggro Berlin und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften streiten sich, und einige Politiker machen sich Sorgen

Erinnert sich eigentlich noch jemand an „Claudia hat ’nen Schäferhund“ von den Ärzten? Jenes Stück, ohne dessen Indizierung 1986 die Berliner Band wohl kaum zu einem der erfolgreichsten deutschen Rockacts geworden wäre? Nicht dass irgendein Rapper des Berliner Labels Aggro Berlin über die Freuden einer sexuellen Beziehung zu einem Hund rappen würde – es ist Sidos „Arschficksong“, der schon seit einiger Zeit die zuständigen Gremien bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften umtreibt. Verbieten konnten sie ihn zwar nicht, weil die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft das Video für Zuschauer ab 16 Jahren freigegeben hat. Indiziert wurden dafür vergangene Woche die Aggro-Compilation „Ansage Nr. 3“ und das Frühwerk „King Of Kingz“ des Rappers Bushido.

Sekundiert wurde die Bundesprüfstelle dabei von Monika Griefahn (SPD), der Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, und ihrem Stellvertreter Peter Gauweiler (CSU): Sollten die Musiksender Videos wie das des „Arschficksongs“ nicht aus dem Programm nehmen, müsse man noch einmal über ein Verbot nachdenken. Bei Aggro Berlin wehrt man sich gegen diese Vorwürfe und weist darauf hin, dass die Musik die Realität schildere – „unter Zuhilfenahme von künstlerischen Stilmitteln in einem HipHop-typischen Kontext“.

Nun müsste man eine solche Debatte nicht sonderlich ernst nehmen, würde sie nicht einen der konstitutiven Prozesse der Popkultur spiegeln: die Schwierigkeiten und Brüche, die sich beim Übergang einer Subkultur in den Mainstream ergeben. Denn natürlich ist die Authentizität, die Gauweiler und Griefahn eine solche Angst einjagt und auf die sich Aggro Berlin beruft, etwas Gemachtes. Sie ergibt sich als verkaufsträchtiges Nebenprodukt, wenn eine Subkultur sich aus ihren alten Kontexten löst. Wenn die Sprachspiele eines Undergrounds auf einmal nicht mehr selbstverständlich sind, sondern erklärt werden müssen, weil eine breitere Öffentlichkeit mit den Gepflogenheiten dieser Nischenkultur eben nicht vertraut ist. Wenn die grundlegende Regel des Battlerap sich etwa nicht mehr automatisch mitkommuniziert – dass immer derjenige verloren hat, der als Erstes ausflippt, also die Beschimpfung nicht mehr als Teil des Spiels betrachtet, sondern sie ernst nimmt. Wenn die Vielschichtigkeiten subkultureller Kommunikation auf einmal vereindeutigt werden. Authentizität ist nie attraktiver als in dem letzten Augenblick, in dem sie noch glaubwürdig behauptet werden kann.

Niemand arbeitet geschickter mit den Haken und Ösen dieses Übergangs als Aggro Berlin. Mit einer konzeptuellen Größe, wie man sie sonst nur von Malcolm McLaren kannte, hat das Label seine Künstler entlang den Anforderungen dieses historischen Moments ausgerichtet. Das macht ihre Größe aus – durchaus auch in einem künstlerischen Sinne. Denn Erfolg ist im HipHop auch eine ästhetische Kategorie.

TOBIAS RAPP