: Nur zu Gast im Gotteshaus
Obwohl die Oberhirten sie Sünder nennen, suchen schwule und lesbische Katholiken eine Heimat in der Kirche. Queer-Gottesdienste helfen ihnen dabei – auch wenn sie im Geheimen stattfinden
VON SUSANNE SCHÄFER
Noch sagt niemand etwas, Stille hängt über Altar und Kirchenbänken. Manche Gläubige haben die Augen geschlossen, die Köpfe leicht gesenkt. Andere halten ihre Partner an den Händen fest. Vom Altar steigt eine Säule Weihrauch hoch. Dann beginnt einer: „Steh einer Bekannten bei, die nächste Woche eine schwere Operation hat.“ Herr, erhöre uns. Wieder Stille. Eine andere Stimme bricht das Schweigen, der Mann spricht von Hartz IV und sozialer Kälte. Er bittet Gott, Deutschland wieder wärmer zu machen. Dann sagt einer aus der zweiten Reihe: „Gib denen Kraft, die ihr Coming-out noch vor sich haben – dass sie es schaffen, diesen Stein wegzurollen.“
Die Gläubigen in dieser katholischen Kirche sind schwul und lesbisch, und sie feiern hier einmal im Monat einen Queer-Gottesdienst. Ihre Pfarrei ist eine von zehn in ganz Deutschland, die spezielle Gottesdienste für schwule und lesbische Christen zulassen. Ob die Kirche, in der die Gläubigen an diesem Sonntagabend mit Gott sprechen, jetzt aber in Berlin, München oder doch woanders steht, bleibt geheim. Denn die Queer-Gemeinde wird von ihrem Bistum nur unter der Bedingung geduldet, dass sie keine Werbung macht und auch sonst nicht öffentlich auftritt. Die Veranstalter halten sich mehr oder weniger an die Regel – und sprechen nur öffentlich, wenn sie und ihre Gemeinde anonym bleiben. Aus Sorge, dass ihre Gottesdienste verboten werden.
„Als Schwule und Lesben machen wir besondere Erfahrungen“, heißt es in einem Flyer, der trotz des Werbeverbots am Eingang der Kirche ausliegt. Und diese „dürfen im Gottesdienst Platz haben“, wie eben das Coming-out. Bestimmen sollen sie ihn aber nicht. Homosexuelle Christen wünschen sich eine „religiöse Heimat“ in der Kirche, steht auf dem Handzettel. Deshalb gründeten Josef*, der Pastoralreferent der Gemeinde, und der Religionslehrer Matthias vor drei Jahren zusammen mit anderen den Gottesdienst. Josef sieht auf den Boden, sodass man das Bärtchen direkt unter seinem Mund nicht mehr sieht, und überlegt. Die braunen Haare hat er millimeterkurz geschoren, sein Gesicht hat schon etwas Sommersonne abbekommen. Er hebt den Kopf, blickt einen mit wachen Augen an und sagt: „Das wird immer wieder als Abspaltung kritisiert“, von einem Ghetto für homosexuelle Christen sei dann die Rede. Aber der Queer-Gottesdienst finde ja nur einmal im Monat statt und auch nur am Abend, zusätzlich zum Gottesdienst für alle Gemeindemitglieder am Sonntagmorgen. „Es geht darum, sich zurückzuziehen und sich dann wieder zu öffnen“, sagt Josef . Er selbst besucht auch die anderen Gottesdienste in dieser Kirche, manche leitet er als Pastoralreferent selbst. Außerdem sind auch Heteros bei den Queer-Gottesdiensten willkommen, der Handzettel lädt auch die „Freundinnen und Freunde“ der Lesben und Schwulen ein.
Die Weihrauchsäule über dem Altar verzweigt sich weiter oben, einzelne Schwaden schlängeln sich immer höher in die Kirche hinein in diesen achteckigen Raum mit einer Decke, die wie ein Zelt in der Mitte spitz zuläuft, bauschen sich wieder zusammen über den Kirchenbänken, die einen Halbkreis bilden und den Altar in ihrer Mitte einschließen. Hier beten die Gläubigen und hören dem Pfarrer zu, der erzählt, wie der auferstandene Jesus seinen Jüngern zu einem dicken Fischfang verhalf. Nach der Predigt versichert der Pfarrer den Christen, dass die Kirche sie auffangen werde „wie ein Netz voll bunter Fische“. Dann singen sie von Regen in der Wüste und Blättern an toten Zweigen, Symbolen der Hoffnung. Die Kirche brummt dabei, weil so viele Bässe durch den Raum klingen. Die wenigen weiblichen Stimmen verlieren sich irgendwo zwischen Orgel und Weihrauchschwaden. Wie zu den meisten schwullesbischen Veranstaltungen kommen auch zu den Queer-Gottesdiensten vor allem Männer.
Viele, die hier singen und beten, fühlen sich in der Kirche normalerweise nicht willkommen. Frank war zehn Jahre lang Messdiener. Seit er acht Jahre alt war, sprach er fast jeden Sonntag in der Kirche Gebete, reichte dem Pfarrer den Kelch, trug die Bibel hinter ihm her. Mit 18 Jahren merkte Frank, dass er schwul ist. Fühlte sich von seinen Eltern nicht mehr akzeptiert und zog von zu Hause weg. Fühlte sich in der Kirche nicht mehr willkommen und trat aus. Seitdem sind fast zwanzig Jahre vergangen. Frank kommt jetzt seit ein paar Monaten zum Queer-Gottesdienst. „Schön“ findet er es, hier mit anderen Homosexuellen zu feiern. Aber er sagt, er sei hier nur Gast. Er wisse noch nicht genau, ob er zur Kirche zurückfinden wird.
Der Religionslehrer Matthias, der den Gottesdienst mitorganisiert, erinnert sich noch gut an seinen eigenen Religionslehrer. Der hatte Matthias und den anderen Schülern beigebracht, dass Homosexualität Sünde sei – so konnte Matthias sich seine Orientierung selbst als Student noch nicht eingestehen. Er hatte sich der Kirche immer verbunden gefühlt, in der Gemeinde mit Jugendlichen gearbeitet, später Theologie studiert. Wer diesen Weg geht, will kein Sünder sein. „Ich habe damals meine Homosexualität praktiziert, lange bevor ich sie aussprechen konnte“, sagt er. Erst in der Mitte des Studiums schaffte Matthias sein Coming-out. Er sagt, er habe nicht mehr gewusst, ob er mit seiner Homosexualität noch zur Kirche gehört. Dass er heute immer noch sein Leben der Kirche widmet, mag daran liegen, dass er sich als Theologe intellektuell mit ihr auseinander setzt. „Ich wusste immer, dass es im Katholizismus unterschiedliche Strömungen gibt, und habe mich an die Progressiven gehalten.“
Die Sprüche der Konservativen setzen ihm trotzdem zu. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner ist der Ansicht, dass Homosexualität in der Schöpfungsordnung „nicht vorgesehen“ ist. Als „sexuell Perverse“ bezeichnete der verstorbene belgische Kardinal Gustaaf Joos Homosexuelle. Auch Johannes Paul II. lehnte Homosexualität vehement ab. Papst Benedikt XVI. hatte das Thema in den ersten Wochen seiner Amtszeit gemieden, jetzt hat er „Pseudo-Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts“ als „Ausdruck einer anarchischen Freiheit“ bezeichnet. Verglichen mit früheren Äußerungen wirkt das milde – als Kardinal hatte er die Adoption von Kindern durch schwule Paare eine „Vergewaltigung der Kinder“ genannt. Der Vatikan erklärte 2003 in einer Philippika, von Ratzinger formuliert, dass Gott dem Menschen durch die „Einheit von Frau und Mann eine besondere Teilhabe an seinem Schöpfungswerk“ gegeben habe. Und da nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen können, sei „die Ehe heilig, während die homosexuellen Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen“. Folglich werden „homosexuelle Praktiken“ als Sünden verdammt.
Pastoralreferent Josef gibt sich gelassen, er regt sich längst nicht mehr auf über Äußerungen wie die des Papstes. „Die kritische Haltung gegenüber Lesben und Schwulen ist in der Kirchenführung einfach sehr tief verwurzelt.“ Auch ein liberalerer Papst als Benedikt XVI. hätte seiner Meinung nach diese Haltung nicht ändern können.
Die Queer-Gemeinde vertraut deshalb auf sich selbst. Josef sagt: „Durch uns soll einfach von unten was wachsen in der Kirche.“ Auf dieser unteren Ebene bekommen die schwullesbischen Katholiken auch verhaltene Unterstützung: Das Bistum duldet die Queer-Gottesdienste unter der Bedingung, dass die Gemeinde nicht öffentlich auftritt. Einigen Mitgliedern der Queer-Gemeinde geht diese Regel gegen den Strich, aber sie spielen mit, denn die Sache mit Münster hat sie verunsichert.
In Münster ist der Schwulen-Gottesdienst verboten worden. Warum oder von wem, das verraten die Homosexuellen, die dort den Gottesdienst organisierten, allerdings nicht. Beim Bistum heißt es nur lapidar: „Unser Bischof erlaubt alles – Gottesdienste für Frauen, für Kinder, für Tiere. Hier wird gar nichts verboten.“ Erst bei dem Schwulen-Gottesdienst in der anderen Stadt erfährt man, was in Münster los war. Religionslehrer Matthias erklärt, dass in Münster auch die Regel galt: keine Öffentlichkeit. Aber eine Zeitung berichtete doch. Darauf petzte eine Kircheninstanz bei der nächsthöheren, bis nach ganz oben. In Rom muss die Nachricht von den Queer-Gottesdiensten blanke Hysterie ausgelöst haben, denn ein Abgesandter eilte nach Münster, um dort für ordentliche Zustände zu sorgen. Matthias erzählt eher verhalten. Denn er spricht hier über etwas, über das man eigentlich nicht spricht. In der Pfarrei in Münster, in der die Homosexuellen einst ihre Gottesdienste feierten, murmelt eine Stimme ins Telefon, ja, an der Geschichte sei schon was dran – und mahnt dann: „Aber schreiben Sie nicht, dass ich das gesagt habe.“
Die liberalen Bistümer haben es nicht leicht. Josef sagt von seinem Bistum, es sei sehr liberal. So wie das in Münster. Aber einen solchen Kurs zu halten gegen den Strom der konservativen Oberhirten in Rom und der anderen Bistümer sei sehr schwer. Josef beschreibt das Problem so: „Stellen Sie sich mal so eine Bischofskonferenz vor. Wenn da der konservative Bischof den liberalen fragt: Du, Friedrich, was ist denn da bei dir los, dann muss dem das abgrundtief peinlich sein.“
Die Haltung der Kirchenführung bremst die Entwicklung von unten, von der Josef spricht – auch wenn die einzelnen Bistümer noch so liberal sind. Und während die Christen von Regen in der Wüste singen und von einem Weg aus der Bedrängnis, macht der Weihrauch sich unsichtbar und ist doch überall. Statt Luft atmet man jetzt eine dicke Masse, die nach Zimt und Räucherstäbchen riecht. Nach dem Gottesdienst sagt einer der Gläubigen: „Die werden uns nicht mehr aufhalten können. Wenn sie uns diesen Gottesdienst verbieten, finden wir einen anderen Weg.“
* alle Namen geändert