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Archiv-Artikel

Models auf Abwegen

ROTE ARMEE FRAKTION Wer hat die konspirativen Wohnungen geputzt, was hat die Frauen in der RAF angetrieben? Eine eindeutige Antwort will die Doku-Fiktion „Terroristinnen – Bagdad ’77“ nicht geben

Die Regisseurin Katrin Hentschel inszenierte 2007 am Theater Freiburg ein Stück mit dem Titel „Terroristinnen Bagdad ’77“, aus dem nun in Zusammenarbeit mit der Freiburger Verlegerin Traute Hensch ein Buch wurde. Es handelt von den Frauen der RAF. Am Anfang des „Projekts“ standen „Fragen, nichts als Fragen“ – darunter: „War der Terror der Versuch, nicht spießig zu werden?“, „Wer hat die konspirativen Wohnungen geputzt?“, „Hatten die Mädels im Knast mehr Post als die Männer?“ oder „Warum interessieren uns die Antworten?“.

In ihrer „Doku-Fiktion“ führen zunächst drei berühmte Terroristinnen, teilweise mit Zitaten aus RAF-Büchern, -Filmen und -Selbstdarstellungen, einige „Theorie-“ sowie „Vaginal“-Dialoge. Sie erzählen sich – in Bagdad auf einem Dach sitzend – ihre „Viten“, „Träume“ und „Terrormärchen“ und halten Ansprache an einige ebenfalls prominente Frauen, darunter die im Irak 2005 von einer islamischen Terrorgruppe in Geiselhaft genommene bayrische Arabistin Susanne Osthoff.

Traute Hensch war lange Zeit Lektorin im Frankfurter Verlag „Roter Stern“ von K. D. Wolff. Der war zuvor Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, aus dem die Frankfurter „Spontiszene“ hervorging, aus der sich dann die Grünen herausmendelten, die aber auch das Soziotop für den Terrorismus war. Rechte Publizisten verleitete das dazu, eine gerade Linie zwischen Adorno-Seminaren und RAF-Attentaten zu ziehen.

Ausgeflippte Popstars

Aber während die einen damals den „Umsturz“ von unten durch „Mobilisierung der Basis“ (indem sie in die Betriebe gingen) erreichen wollten, versuchten die „Illegalen“ ihn intellektuell-terroristisch von oben zu initiieren, weil sie meinten, auf die Aktion der Massen verzichten zu können.

Die 1968 geborene Schriftstellerin Tanja Dückers schreibt in „Terroristinnen – Bagdad ’77“ : „Der Grund für die scheinbar unerschöpfliche Aktualität der RAF ist in der merkwürdigen Vertrautheit zu finden, die wir mit diesem Phänomen verbinden.“ Weil in dem Film „Der Baader-Meinhof-Komplex“ die Rollen „alle mit sehr bekannten und attraktiven Schauspielerinnen besetzt“ waren, erschienen Tanja Dückers nun die „RAF-Frontfrauen“ rückblickend als „ausgeflippte Popstars oder Models auf Abwegen“. Sie waren merkwürdig „aktuell“ und schienen ihr zum heutigen „Lifestyle-Feminismus“ zu passen.

„Das Kürzel ‚RAF‘ beinhaltet die Botschaft ‚Recht auf Frausein‘“, meint Katrin Hentschel und zitiert dazu die Terroristin Irmgard Möller: „RAF – das war für uns Befreiung.“ Auch von den anderen möchte sie aus erster Hand erfahren, „warum die RAF-Frauen bereit waren, bis zum Äußersten zu gehen“.

Hentschels Buch wird abgerundet von zwei akademischen Beiträgen: Einer, von Gisela Diewald-Kerkmann, die sich mit „Frauen, Terrorismus und Justiz“ habilitierte, bringt die SDS-Frauenbewegung anhand einiger „Fallbeispiele“ in Zusammenhang mit der RAF – als einer „Amazonenarmee mit männlichem Begleitpersonal“. Der andere Beitrag, von Vojin Sasa Vukadinovic, die über Antifeminismus in Linksterrorismus-Diskursen promoviert, thematisiert die „maskulinistischen Fiktionen“ von über die RAF schreibenden AutorInnen – vor allem nach der „Eskalation ’77“, die den „Deutschen Herbst“ einleitete. Geschmälert wird das Vergnügen an diesem Buch nur dadurch, dass es dazu beiträgt, die RAF innerhalb der antiautoritären Bewegung überzubewerten, weil nur sie und Uschi Obermaier in den Medien rückblickend auf „68“ als „sexy“ erscheinen.HELMUT HÖGE

■ Katrin Hentschel, Traute Hensch (Hrsg.): „Terroristinnen – Bagdad ’77“. Edition der Freitag, Berlin 2009. 158 Seiten, 16,80 Euro