: Einen Popanz nicht vergrößern
HETZSCHRIFT Mit dem Erlöschen des Urheberrechts von Hitlers „Mein Kampf“ 2015 drohen Neuauflagen. Aus diesem Anlass erläuterte der Historiker Wolfgang Benz im Brechthaus dessen Editionsgeschichte
VON SONJA VOGEL
„‚Mein Kampf‘ ist nicht die Blaupause für das Dritte Reich“, sagte Wolfgang Benz am Mittwochabend. Anders als oft behauptet, wäre der Holocaust nicht verhindert worden, wenn alle Adolf Hitlers Schrift gelesen hätten. „Mit diesem Buch versteht man nicht mehr als ohne.“ Im Literaturforum im Brechthaus sprach der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung mit dem Journalisten Alfred Eichhorn. Die Veranstalter hatten einen Blick ins Buch und auf die Editionsgeschichte von „Mein Kampf“ angekündigt. Und tatsächlich hatte Benz in einem Jute-Beutel ein halbes Dutzend Exemplare mitgebracht. Mit rund 50 ZuhörerInnen, die meisten jenseits der 60, war der kleine Saal voll besetzt.
Entstanden in Festungshaft
Der erste Band von „Mein Kampf“ entstand in der Festungshaft, zu der Hitler nach dem gescheiterten Putsch 1923 verurteilt worden war. Zehntausende hatten zu dieser Zeit bereits seinen Reden gelauscht. Hitlers radikaler Antisemitismus, der völkische Sozialismus und die Straßenschlachten zogen die Massen an. 1926 folgte Band zwei.
Gedacht gewesen sei das Buch als Gegenentwurf zum Marxismus. Ob Hitler mit dem in Berührung gekommen sei, fragt Alfred Eichhorn überrascht. „Überhaupt nicht“, antwortet Benz. Er habe lediglich versucht, ein verbreitetes Feindbild ins Positive zu wenden und mit Fragmenten wie dem Sozialismus und der Arbeiterpartei die Massen angezogen. Genauso verhalte es sich mit den Grundfesten des Buches: die Forderung nach Lebensraum im Osten, den radikalen Antisemitismus und Antikommunismus, Eugenik und Rassentheorien – alles konsensfähig.
„Er hat reproduziert, was eine Mehrheit gedacht hat“, sagt Benz. Eine Handlungsanweisung jedoch finde sich nicht. „Da steht, dass die Juden böse sind. Da steht nicht: Ich will sie vernichten.“ Dass Hitler besonders radikal war, bestreitet Benz nicht. Allerdings habe Hitler in seinen Reden gesagt, was er wollte – auch vor der Machtergreifung.
„Das Faszinosum war der Autor“, betont Benz. Das Buch, ab 1936 jedem Brautpaar mit auf den Weg gegeben und millionenfach verbreitet, sei Beiwerk gewesen. Eine These, die das Publikum verstört. Ein älterer Herr wirft dem Historiker vor, er verharmlose. Ungerührt gibt Benz zurück, der Zuhörer verkläre den „Popanz Hitler“, wenn er sein Werk zu ernst nehme.
Zurzeit sind weder Besitz noch Verbreitung des Buches strafbar. „Mein Kampf“ ist nicht verboten. „Es ist ein vorinstitutionelles Buch“, sagt Benz. Da es vor Inkrafttreten der Verfassung der BRD entstand, kann es nicht gegen diese verstoßen – „blödsinnig“, meint Benz. Verboten ist nur die Neuauflage. 2015 aber läuft das Urheberrecht aus, das der Freistaat Bayern als Erbe Adolf Hitlers besitzt. Für Benz im Prinzip kein Problem: „Die Aufregung ist umsonst.“ Schließlich sei die Hetzschrift seit Jahr und Tag zugänglich, weltweit massenhaft nachgedruckt und im Internet zu haben. Für rund 160 Euro bekommt man beide Bände antiquarisch.
Was Benz ärgert ist, dass Bayern eine halbe Millionen Euro in eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe stecken möchte. Seiner Meinung nach hätten16 Seiten Original plus Kommentar genügt. Der Historiker bezieht sich dabei auf die geplante Beilage zur Sammeledition „Zeitungszeugen“, in der NS-Originale wie der Völkische Beobachter in Faksimile abgedruckt wurden. Anfang des Jahres hatte Bayern das untersagt. „Ich würde es als Versuch der Zensur werten“, so Benz. Er selbst ist als wissenschaftlicher Berater an dem umstrittenen Projekt beteiligt.
Trockene Erläuterungen
Leider geht es an diesem Abend über die recht trockenen Erläuterungen zu Entstehung und Rezeption von „Mein Kampf“ kaum hinaus. Ob „Mein Kampf“ nicht anknüpfungsfähig sei, versucht es Eichhorn noch einmal. „Neonazis haben ganz andere Themen besetzt“, antwortet Benz, „die Hetze gegen Muslime, den Antisemitismus.“
Große Angst jedenfalls scheint niemand vor der Neuveröffentlichung zu haben. „Die Überlebenden leben seit Jahrzehnten damit, dass der Holocaust in Zeitungen geleugnet wird“, sagte Benz am Anfang der Veranstaltung. Vor diesem Hintergrund erscheint die Diskussion um „Mein Kampf“ tatsächlich übertrieben. Jetzt geht sie jedenfalls in eine neue Runde.